Melanie Reichert

Y – Z Atop Denk 2022, 2(1), 1.

Abstract: Im Jahr 1966 trifft die damals 24-jährige Promovendin Julia Kristeva in Paris auf Roland Barthes, der zu dieser Zeit am Collège de France lehrt. Im Verlauf ihrer langen philosophischen Freundschaft haben sich beide auf nachhaltige Weise beeinflusst. Besonders wichtig für die philosophische Entwicklung Barthes’ waren Kristevas Arbeiten zum Paragramm (Samoyault 2015, 515), in denen sie die Vorstellung, bei Texten handele es sich um Prozesse, radikalisiert. Ebenso wie die Schriften Michail Bachtins, mit denen Kristeva Barthes vertraut macht, haben diese Arbeiten ihn entscheidend dabei beeinflusst, den Text als oszillierendes ästhetisches Phänomen in den Blick zu nehmen und diese Perspektive ideologiekritisch fruchtbar zu machen. In diesen Motivkreis fällt auch der Begriff der Jouissance. Eine Verbindung der Gedanken Barthes’ und Kristevas über den Nexus des Jouissancebegriffs kann folgendes zeigen: Zum einen handelt es sich bei der Erfahrung der Jouissance um ein epistemisches Phänomen, eine eigene Erkenntnisweise. Zum andern entfaltet diese besondere Erkenntnisweise vor dem Hintergrund nicht nur der Kulturphilosophie des 20. Jahrhunderts einige subversive Kraft.

Keywords: Jouissance, Kulturkritik, Episteme, Erotik, Ästhetik

Veröffentlicht: 25.01.2022

Artikel als Download:pdfJouissance zwischen Barthes und Kristeva

 

1. Roland Barthes’ Unterscheidung von Lust und Jouissance1

Barthes entlehnt, insbesondere in seinen späten Schriften, auf undogmatische Weise Motive und Begriffe der Lacan’schen Psychoanalyse.2 Dazu gehört auch die Unterscheidung von Lust und Jouissance. Allerdings schränkt Barthes hierbei sogleich ein, dass beide Phänomene nicht trennbar sind und auch er, wenn er über sie schreibt, sie nicht immer sauber trennen wird3. Gleich zu Beginn des Essays Die Lust am Text von 1973 thematisiert Barthes offen diese Schwierigkeiten der Unterscheidung von Lust und Jouissance und die Vorläufigkeit seiner Nomenklatur: „terminologisch schwankt das noch, ich stolpere, ich verheddere mich. […] die Unterscheidung wird nicht zu sicheren Klassifizierungen führen, das Paradigma wird knirschen, der Sinn wird prekär, revozierbar, reversibel, der Diskurs wird unvollständig sein.“ (Barthes 2015, 8 f.)

Die Phänomene Lust und Jouissance lassen sich zwar derart gegeneinander abgrenzen, dass so etwas wie ein Sujet entsteht, allerdings ist dieses nie endgültig beschreibbar: „Um ein solches Sujet kann ich nur kreisen“, so Barthes (Barthes 2015, 51).

Die in Die Lust am Text entworfene Nomenklatur mutet zunächst literaturwissenschaftlich an. Auf der Folie des barthes’schen Gesamtwerks jedoch zeigt sich, dass auch hier Literaturtheorie und Kulturphilosophie aufs Engste miteinander verknüpft sind: Barthes verschränkt beide über den Nexus des Verstehens, der Fähigkeit also, Situationen unter Rückgriff auf Bedeutungen und Üblichkeiten zu gestalten, also selbst Bedeutung zu geben (Apel 2001, Reichert 2020). Entscheidend ist – hiermit tritt Barthes das Erbe Nietzsches an –, dass diese Bedeutungen und Üblichkeiten historisch gewachsen und daher beständig in Bewegung sind. Verstehen basiert daher – entgegen dem neuzeitlichen Selbstverständnis des Menschen – immer auf Antizipation, Vorläufigkeit und Behelfsmäßigkeit. Von intelligibler Durchdringung oder gar Wahrheitserkenntnis kann keine Rede sein: Weil wir nicht zweifelsfrei erkennen können, müssen wir verstehen. Vor diesem Hintergrund wird der Begriff der Jouissance für Barthes interessant.

Ich möchte nun kurz die konkrete Verwendung des Begriffs bei Barthes selbst darstellen. Obwohl Barthes Jouissance von Lust unterscheidet und beide sehr spezielle Weise fasst, fällt auch die Jouissance in den philosophiehistorisch weiter zu fassenden Motivkreis der Lust. Mit seinem Nachdenken über Lust und Jouissance wendet sich Barthes dezidiert gegen eine überlieferte Vorstellung von Lust, die diese als etwas „Einfaches“, gar Primitives auffasst, das man entweder besitzen oder verachten kann. Allerdings ist Lust als Lust sowie Lust als Jouissance nichts, was man einfach vorfindet, sie ist kein „Bestandteil des Textes, kein naives Residuum“ (Barthes 2015, 34). Als im Arkanum der Individualität wurzelnde Arbeit am Text, an der Kultur, ist sie „nicht von einer Logik des Verstehens und Fühlens abhängig; sie ist ein Treiben, etwas, was zugleich revolutionär und asozial ist und von keiner Kollektivität, keiner Mentalität, keinem Idiolekt mit Beschlag belegt werden kann. (...) Man sieht also, daß die Lust am Text skandalös ist: nicht weil sie unmoralisch, sondern weil sie atopisch ist.“ (Barthes 2015, 34 f.)

Schon in Die Lust am Text deutet sich an, dass Lust und Jouissance für Barthes zwei hermeneutisch-epistemische Phänomene sind. In Momenten der Lust am Text ist es dem Leser nämlich egal, wie es um die Logik oder die historische Akkuratesse eines Textes bestellt ist. Er ist bereit, alle Behauptungen und Formulierungen des Autors anzuerkennen, nur um „jenes alte Gespenst abzuschütteln: den logischen Widerspruch“ (Barthes 2015, 8, Herv. i. O.). Die Lust stellt nach Barthes also den Moment äußerster Verstehensbereitschaft dar, ein sich Erkennen in der etablierten Kultur und das Einverständnis mit ihren Bedeutungssystemen (Barthes 2015, 22). Barthes beschreibt dieses lustvolle Jasagen wie folgt: „Der alte biblische Mythos kehrt sich um, die Verwirrung der Sprachen ist keine Strafe mehr (...): der Text der Lust, das glückliche Babel“ (Barthes 2015, 8).

Demgegenüber handelt es sich bei der textuellen Jouissance um ein zutiefst a-soziales Phänomen: Es versetzt „in [einen] Zustand des Sichverlierens“, „der Unbehagen erregt […], die historischen, kulturellen, psychologischen Grundlagen des Lesers, die Beständigkeit seiner Vorlieben, seiner Werte und seiner Erinnerungen erschüttert, sein Verhältnis zur Sprache in eine Krise bringt.“ (Barthes 2015, 22)4 Während sich in der Lust also eine Erfahrung der Verortung manifestiert, manifestiert sich in der Jouissance eine Erfahrung der Atopie (Barthes 2015, 77).

Obwohl man Signifikat und Signifikant nicht trennen kann, erlaube ich mir jetzt zu Darstellungszwecken die Jouissance nach Barthes wie folgt zu beschreiben: das Signifikat tritt zurück zugunsten des Signifikanten. Die Signifikanz ist, so pointiert es Barthes, „der Sinn, insofern er sinnlich hervorgebracht wird“ (Barthes 2015, 90, Herv. i. O.). Die Jouissance wird dann erfahren, wenn sich die ästhetische, die sinnliche Beschaffenheit eines Wortes verselbständigt und seine Bedeutung schwindet. So wird der Blick auf das sinnliche Hervorbringen des Sinns freigegeben, auf die Arbeit am Material. Da sich ein solcher Bedeutungsentzug jederzeit ereignen kann, entpuppt sich das Ästhetische hier als das fundamental Unbeherrschbare, Widerspenstige.

Paradigmatisch sind für Barthes in diesem Zusammenhang die Versuche der Theateravantgarde, die – ohne den Begriff zu gebrauchen – auf die Ermöglichung einer Jouissanceerfahrung zielt: Das sogenannte „laute Schreiben“ mit Stimme und Körper auf der Bühne Artauds etwa zielt nicht auf die Klarheit der Wörter und Geschichten. Stattdessen wird hier „die mit Haut bedeckte Sprache“ zur Aufführung gebracht, ein „Text, bei dem man die Rauhheit der Kehle, die Patina der Konsonanten, die Wonne der Vokale, eine ganze Stereophonie der Sinnlichkeit hören kann: die Verknüpfung von Körper und Sprache, nicht von Sinn und Sprache.“ (Barthes 2015, 97 f.)

Für Barthes sind Reste davon mittlerweile höchstens noch im Film erfahrbar, der aufgrund seiner technischen Möglichkeiten das Signifikat zurückdrängen kann, indem er den Ton „von ganz nah“ (Barthes 2015, 98, Herv. i. O.) aufnimmt und so

„in ihrer ganzen Materialität, in ihrer Sinnlichkeit den Atem, die Rauheit, das Fleisch der Lippen, die ganze Präsenz des menschlichen Maules hören [lässt] […], und schon gelingt es ihm, das Signifikat ganz weit weg zu rücken und den anonymen Körper des Schauspielers sozusagen in mein Ohr zu werfen: das knirscht, das knistert, das streichelt, das schabt, das schneidet: [Jouissance].“ (Barthes 2015, 98)

Man kann das Anliegen Barthes’ nicht auf bloße Repräsentationskritik reduzieren – eine menschliche Welt ohne Repräsentation ist nicht denkbar –, sondern die mit verbalsprachlicher, prädikatenlogischer Repräsentation verbundenen Objektivitäts- und Ewigkeitsbehauptungen. Daher ist es für ihn wichtig, die spezifische Widerspenstigkeit des Ästhetischen nicht nur in der Kunst, sondern auch im Alltäglichen aufzuweisen. So ist es möglich, sich beim Betrachten eines Familienfotos in den Schnallenschuhen der Haushälterin zu verlieren, beim Foto Tristan Tzaras in dessen schmutzigen Fingernägeln (Barthes 1989, 53 – 55)

Nimmt man Barthes’ Verklammerung von Sprach- und Kulturbegriff ernst, so muss angesichts dieser Phänomensammlungen befunden werden: Texte der Jouissance finden sich nicht nur in der Literatur, sondern im gesamten „Reich der Zeichen“ (Barthes 1981), das unsere Kultur ist. Texte der Jouissance, egal ob Buch, Bild oder Film, stehen außerhalb „jeder vorstellbaren Finalität“ (Barthes 2015, 77): die Erfahrung der Jouissance offenbart uns also die Unabschließbarkeit der Zeichen, des Bedeutungschaffens. Damit verbinden sich im Phänomen der Jouissance Episteme und Subversion: Der Kulturkritiker Barthes bringt, das müssen wir uns vor Augen halten, diesen Import der Psychoanalyse gegen die bürgerliche Einhegung der Welt mittels des vermeintlich ›Selbstverständlichen‹ in Stellung. Diese war bereits Zielscheibe seiner Mythen des Alltags, in denen er mit der Scheinheiligkeit der französischen Gesellschaft der 50er Jahre abgerechnet hatte, die ihre unaufgearbeitete Verstrickung in den Faschismus unter der Heimeligkeit alltäglicher Selbstverständlichkeiten verborgen hatte. Barthes’ Kritik zielt in Abgrenzung hierzu darauf ab, Kultur als riskanten, niemals ganz beherrschbaren Prozess des Hervorbringens einsichtig zu machen. Gegen die klassifizierende Erstarrung und Routine des vermeintlich Selbstverständlichen gilt es anzugehen; zugleich aber muss eingestanden werden, dass wir immer schon mit Bedeutung und Normen operieren und so beständig mitweben am Netz der Kultur und ihren Selbstverständlichkeiten.

In Barthes’ Ästhetik der Jouissance artikuliert sich der Anspruch, das Einzelne als etwas in den Blick zu nehmen, das sich der Repräsentation, das heißt der kulturellen Normierung und Klassifizierung entzieht. Ich interpretiere Barthes’ Begriff der Jouissance im Rahmen seines Versuch, sich in einer paradoxen philosophischen Bewegung – im Wissen nämlich um seine stets nur punktuelle und mehr zufällige Erreichbarkeit – dem Sehnsuchtsort abwesender Bedeutung anzunähern (Barthes 1990, 272). Indem es die sinnliche Verfasstheit des Sprechenden selbst ist, die Gegenstand der Aufmerksamkeit wird, entfaltet die Materialität eine solche Affizierungskraft, dass sie den semiologischen Gesamtzusammenhang fragmentiert. In der Jouissance wird also einwandfreie Lesbarkeit sabotiert: Das Zeichen wankt.

Der Eintritt dieser Wirkung, auf die auch Barthes’ Texte abzielen, ist dabei von einer zweifachen Unsicherheit geprägt: Zum einen durch die individuelle Empfänglichkeit des Rezipienten, der immer nur potentiell von ihrer beabsichtigten Wirkung erfasst wird. Zum anderen ist das Spiel der Enthüllung des Materiellen durch Vorerfahrungen und Kontexte gefährdet, die es schnell wieder mit Bedeutung überformen – denken wir daran, dass auch die Techniken der Avantgarde schließlich Schule gemacht haben. Daher vollzieht es sich immer nur als punktuelles Aufklaffen des Bedeutungsgewebes, für Barthes als erotisches Ereignis: „die Unterbrechung ist erotisch […]: die Haut, die zwischen zwei Kleidungsstücken glänzt“ (Barthes 2015, 17). In genau dieser Dialektik besteht nach Barthes die Jouissance5. Dabei handelt es sich also um eine komplexe, lust- wie schmerzvolle Spannung zwischen Zerstörung und Schaffen von Bedeutung, von Erkenntnis und Nichtverstehen. In der Erfahrung der Jouissance setzt sich nicht nur das Subjekt aufs Spiel. Die Ausweitung des Begriffs im Rahmen der Barthes’schen Kulturphilosophie lässt auch erahnen, welche Risiken mit Formzersetzung und Bedeutungsverlust im Rahmen des gesellschaftlichen Zusammenlebens einhergehen: Das Fading von Bedeutung, die immer Bewertung ist, kann schließlich auch solche kulturellen Formationen ergreifen, auf die zu verzichten eine humanitäre Katastrophe wäre.

Und auch für das Selbstverständnis der Philosophie hat Barthes’ Methode des Aufsammelns eigener Jouissanceerfahrungen Konsequenzen: Der Philosoph, der solche Phänomene aufliest, enthüllt sich als Fetischist: Er muss zugeben, was ihn anzieht, was er begehrt. So tritt der Philosoph hier nicht mehr als Diener des Allgemeinen, als Analytiker, sondern als Liebhaber des Konkreten, als Erotiker auf. Was „wenn die Erkenntnis selber lustvoll wäre?“ (Barthes 2015, 34, Herv. i. O.), fragt Barthes und meint das ganz wörtlich, im körperlichen Sinne. Indem er ihre lustvolle Vergeblichkeit zum Inhalts- und Darstellungsprinzip seiner Texte macht, wird bei Barthes die Philosophie erneut zu einem fundamental erotischen Geschäft, ein Un-Ort jenseits moralistischer Grabenkämpfe, wissenschaftlicher Neutralitätsphantasmen und den Heilsversprechen der Ökonomie.

 

2. Jouissance und Kunst bei Julia Kristeva

Für Kristeva ist die riskante Arbeit an der Grenze von Körper und Kultur vor allem in der Kunst und in der Erfahrung von Schwangerschaft und Mutterschaft erfahrbar, wie sie in ihrem Essay Mutterschaft nach Giovanni Bellini ausführt, der 1977 erschienen ist (Kristeva 1984, 240). Nach Kristeva manifestiert sich in der Schwangerschaft eine Erfahrung von Subjektivität und Auflösung: Die Schwangere erlebt eine zweifache Spaltung innerhalb ihres eigenen Körpers, nämlich zum einen dadurch, dass Ihre Materialität ihr entzogen ist, ihr Körper unabhängig von ihrem Willen ein „Eigenleben“ entwickelt. Zum andern dadurch, dass sich in ihrem Innern ein neuer Mensch entwickelt, sie also ihr Fleisch gleichsam teilen muss, sie sich selbst nicht mehr ganz gehört. Dabei handelt es sich aber keinesfalls um eine spezifisch weibliche Erfahrung, sondern – dies zeigt der Blick auf Bellini wie auf Barthes – eine Fundamentalerfahrung des Menschen. Allerdings ist Mutterschaft für Kristeva – wie die Kunst – ein privilegierter Ort der Einsicht in diese Setzungen und Ent-Setzungen des Subjekts.

In den Madonnendarstellungen Bellinis ist beides – Kunst und Mutterschaft – aus der Perspektive Bellinis zur Anschauung gebracht. Die künstlerische Jouissance ermöglicht in ihren ästhetischen Manifestationen eine Reflexion der fluiden Subjektivität – ob und wie das funktionieren kann, werde ich am Schluss erläutern. Um diese Position schärfer zu profilieren, beschreibt Kristeva die Malerei Leonardo da Vincis in Abgrenzung zur Malerei Bellinis:

„Auf der einen Seite gibt es eine Tendenz zum Körper als Fetisch. Auf der anderen Seite eine Vorherrschaft von leuchtenden, chromatischen Differenzen jenseits und trotz der körperlichen Repräsentation. […] Verehrung des figurierbaren, repräsentierbaren Menschen; oder Integration des Bildes, das durch Wahrhaftigkeit erreicht wird, innerhalb der leuchtenden Stille des Nichtrepräsentierbaren.“ (Kristeva 1984, 243, übers. M. R.)6

Die Revolution in Bellinis Frauen- und Mutterdarstellungen besteht für Kristeva darin, die „leuchtende Dichte der Farbe“, zur Geltung gebracht zu haben, die „mehr noch als die Entdeckung der Perspektive Volumen in den Körper und in das Bild einführen“ (Ebd., übers. M. R.).

Im Gegensatz dazu wirken die Frauen in da Vincis Darstellungen – etwa die Madonna mit der Spindel – rätselhaft, fast maskulin, das männliche Kind ist der Fokus der Aufmerksamkeit. Kristeva beschreibt die hier ausgedrückte Mutterschaftskonzeption und ihre Konsequenzen wie folgt:

„‚Baby ist mein Ziel und ich weiß alles‘ – dies ist der Slogan einer Mutter als Herrin. Aber wenn Narziss derart beschützt und dominiert wird, kann er der privilegierte Entdecker der sekundären Verdrängung werden. Er begibt sich auf die Jagd nach Fantasien, die den Zusammenhalt der Gruppe sichern, er offenbart den phallischen Einfluss, unter dem das Imaginäre aller steht. Solch eine Einstellung bewirkt Lust, aber sie schadet auf dramatische Weise einem Begehren, das unmöglich durch eine Fülle an Objekten, Körpern oder Verhaltensweisen gestillt werden kann, die unablässig berauschen und enttäuschen.“ (Ebd., 245, übers. M. R.)

Da Vinci wendet sich, so Kristeva, der Logik, dem Transparenz- und Objektivitätsversprechen der Wissenschaft zu, statt die Kunst für eine Erkundung der „unbewussten Formationen“ und ihrer Mischung aus Angst und Lust zu nutzen (Ebd.), die im Falle der Malerei durch die Dialektik von Anschaulichkeit und Formentzug in der Erfahrung der Farbigkeit gegeben ist. Das Paradigma da Vincis ist dementsprechend: Technisierung. Hier erscheinen dann auch Körper – vor allem Frauenkörper und Mutterkörper – als beherrschbare, durch feinste Technik greifbare Objekte (Ebd. 246, übers. M. R.).

Die Madonnendarstellungen Bellinis lassen eine alternative Deutung von Mutterschaft und Frauenkörpern erkennen:

„Der mütterliche Raum ist da […], faszinierend, anziehend, überraschend. Aber wir haben keinen direkten Zugang zu ihm. Als ob es eine mütterliche Funktion gäbe die […] reine unaussprechliche jouissance ist, jenseits des Diskurses, jenseits des Narrativs, jenseits der Psychologie, jenseits der gelebten Erfahrung und Biografie – kurz: jenseits der Figuration.“ (Ebd., 247, übers. M. R.)

Die Sehnsucht nach und die Unerreichbarkeit der Mutter artikuliert sich, so Kristeva, in der Betonung von Raum und Farbe, die Bellinis Bilder kennzeichnet. Ich möchte ergänzen, dass es dabei stets des Kontrasts bedarf, um die fast schon surreale Qualität der Flächigkeit und Primärfarben im Kontrast hervortreten zu lassen. Dieser Kontrast wird entweder durch eine feine, oft naturalistische Hintergrundgestaltung, oder aber durch eine auffallend unbestimmte Flächigkeit des Hintergrunds erreicht. Durch diese Brüche werden die Bilder selbst gleichsam zur Bühne, auf der die reine Farbigkeit jenseits der Bildbedeutung geschaut werden kann. In zweiter Potenz kann hier darüber hinaus die Farbe als das spezifische Material des Malers in den Blick geraten – und so potentiell die Kunst in Abgrenzung zu anderen Tätigkeiten reflektiert werden.

Im künstlerischen Werk Bellinis wird das Ringen des Malers mit Überschuss und Entzug zur Anschauung gebracht: „Denn durch eine Symbiose von Bedeutung und Nichtbedeutung, von Repräsentation und Differenzen lässt sich der Künstler in der Sprache nieder, und durch seine Identifikation mit der Mutter […] in seiner eigenen Jouissance, Zeichen und Objekt durchkreuzend.” (Ebd., 242, übers. M. R.) In Bellinis Darstellungen der Madonna mit dem Kind ist die Mutter in ihrer Abwesenheit präsent. Ihr Blick schweift ab, Mutter und Kind wirken einander seltsam entfremdet. Die Mutter markiert hier die Stelle einer unstillbaren Sehnsucht, die wesentlich Sehnsucht nach Auflösung in der Allheit ist. Deshalb handelt es sich auch bei der Jouissanceerfahrung nach Kristeva um eine Mischung aus Mangel und Überschuss, aus Lust und Angst: Der Mangel der Mutter garantiert die Stabilität des Subjekts, das sich erst in Abgrenzung zu ihr formieren kann. Zugleich bewegt es sich in seinem sehnsuchtsvollen Streben nach der Mutter wiederum auf seine eigene Auflösung zu, wodurch sich die Angst zur Lust dazugesellt. Diese Spannung aus Lust und Angst kennzeichnet auch die Jouissance in der Barthes’schen Fassung. Die Einsicht, dass Subjektivität sich ohnehin immer zwischen Stabilität und Dynamik ereignet ist eine Pointe, die Kristeva besonders stark betont, die aber letztlich auch eine Konsequenz des Barthes’schen Entwurfs ist, wenngleich sein Fokus ein anderer ist, worauf ich zurückkommen werde.

Die ästhetische Praxis der Kunst bedient sich nach Kristeva der sekundären Verdrängung mittels Zeichen um die erste Verdrängung, die Ablösung von der Mutter, anzusprechen. Diese Auseinandersetzung kann in der Kunst gelingen, da sie sowohl auf die Zeichen rekurriert, diese aber auch absichtsvoll durchkreuzen und dabei – das ist wichtig – immernoch als bedeutungsstiftende kulturelle Formation erkannt werden, „gelesen“ werden kann. Die Kunst befindet sich also nicht in einem „wilden Außen“.7

Die künstlerische Jouissance lässt Mangel und Überschuss oszillieren: Der Mangel der Mutter, des Nichtrepräsentierbaren kreiert einen Überschuss der Zeichen, der einerseits den Mangel in der Entfremdung von Subjekt und Kultur noch verstärkt. Andererseits ermöglicht es der Mangelzustand der Welt der Zeichen, die Auflösung der Zeichen erfahrbar zu machen: und zwar im Raum der Kunst. Dieser Überschuss konfrontiert das Individuum dann wiederum mit der Möglichkeit des Mangels, insofern es sich selbst zu verlieren droht. Vor dem Hintergrund der antiken Vorstellung des Eros als Sohn von Penia und Poros – Mangel und Überfluss (Platon 1998) – lässt sich nun sagen: In den von Kristeva und Barthes thematisierten künstlerisch und philosophisch gestalteten Verschlingungen von Mangel und Überschuss enthüllt sich die Erotik als Fundamentalverhältnis kulturellen In-der-Welt-Seins. Die Jouissance wird hierbei zum Erkenntnis ermöglichenden Prinzip.8

 

3. Resonanzen: Ästhetische Subversion der Kultur

Die „Suche nach der jouissance“ ist, so Kristeva, der Motor der Kunst Bellinis (Kristeva 1984, 248, übers. M. R.). Sie ist, wie für Barthes, dort zu finden, wo Signifikat und Signifikant auseinandertreten und Bedeutung von Qualität und Intensität verdrängt wird. „Wer birgt […] die jouissance?“, fragt Kristeva. Ihre Antwort lautet: „Die Faltungen der farbigen Flächen, das Nebeneinander voller Töne, das grenzenlose Volumen, das sich in einen Kontrast aus ‚heißen‘ und ‚kalten‘ in einer Architektur reiner Farbe auflöst, das plötzliche Leuchten, das dann die Farbe selbst öffnet – die letzte Kontrolle des Sehens, jenseits ihrer eigenen Dichte, hin zum strahlenden Licht.“ (Ebd. 248, übers. M. R.)

Für Kristeva nimmt die Betrachtung von Weiblichkeit und Mutterschaft hierbei eine zentrale Rolle ein. Unter Betrachtung Bellinis zeigt sie, wie beide zu Stellen der Subversion, zum subversiven Ort in der kulturellen Struktur werden: „für Bellini ist Mutterschaft nichts anderes als […] eine leuchtende Verräumlichung, die ultimative Sprache einer jouissance an den äußeren Grenzen der Verdrängung, wo Körper, Identitäten und Zeichen erzeugt werden.“ (Kristeva 1984, 269) Vor dem Hintergrund der Auslegung Kristevas erscheinen Bellinis Bilder dann als performative Artefakte, die auf etwas ganz bestimmtes verweisen, nämlich auf die Dialektik von Konstruktion und Subversion von Bedeutung: Die Bilder konstruieren eine bestimmte Vorstellung von Heiligkeit, Mütterlichkeit und Weiblichkeit; zugleich setzt die Intensität der Farbigkeit all diese Motive wiederum unter Spannung, lenkt von ihnen ab, zersetzt und bedroht sie.

Da Vinci und Bellini entsprechen den zwei Lektüren der Lust Roland Barthes’, die zugleich für zwei Verhältnisse des Subjekts zur Kultur stehen. Der Nexus ist in beiden Fällen das Nichtrepräsentierbare, das Unverständliche, dasjenige, was sich innerhalb der Ökonomie der Zeichen nicht handhaben lässt. Ebenso sind Episteme und Subversion bei beiden über den Nexus der Materialität verbunden.

Was Barthes in Die Lust am Text als Lektüre- und schließlich fundamentale Kulturerfahrung beschreibt, erscheint bei Bellini, so zeigt Kristeva, als durch die Frau verkörpert: Während Episteme und Subversion für Barthes in der ästhetischen Erfahrung allgemein verschränkt sind, sieht Kristeva diese Verschränkung speziell in der Konzeption von Mütterlichkeit, wie sie sich in den Bildern Bellinis artikuliert. Lesen wir Kristevas Bellini-Interpretation auf der Folie der kulturphilosophischen Überlegungen Barthes’ ließe sich weiter fragen, ob hier nicht die Mutter den systematischen Stellenwert der Kultur einnimmt – im Gegensatz zu einer langen Tradition der Identifizierung von Weiblichkeit und Natur.

Auch in einer weiteren Hinsicht wird für Barthes Mütterlichkeit, konkret die Frage nach seiner eigenen Mutter, zum Gegenstand der Reflexion über die Jouissance – wenn auch auf Umwegen: Ausgangspunkt seines letzten großen Essays Die helle Kammer sind die Fotos seiner verstorbenen Mutter und die Vergeblichkeit, sie in diesen Fotos zu finden, sie sich präsent zu machen: „Denn was ich verloren habe, ist nicht eine Gestalt (die Mutter), sondern ein Wesen, und nicht nur ein Wesen, sondern eine Qualität (eine Seele): nicht das Unentbehrliche, sondern das Unersetzliche.“ (Barthes 1989, 85)

In Die helle Kammer unterscheidet Barthes das Studium der Fotografie vom Punctum der Fotografie. Beide sind epistemische Modi, die analog zur Unterscheidung von Lust und Jouissance interpretiert werden können: Auch in der Erfahrung des Punctums verliert sich der Betrachter im sinnlichen Detail, schert sich nicht um die Gesamtdarstellung, die Bedeutung des Bildes. Er verliert sich in der Form, die der materielle Aspekt der Bedeutungen ist. Auf der Suche nach der verlorenen Mutter stellt sich für Barthes in Erweiterung dessen nun die Frage, ob es auch ein zeitliches Punctum geben kann, ein Punctum nicht des Details, sondern der Zeit als „der Dichte“, der „erschütternde[n] Emphase des Noemas (‚Es-ist-so-gewesen‘)“ (Barthes 1989, 105). Anhand einer spezifischen Erfahrung kann Barthes tatsächlich, wenn auch nur für einen kurzen Moment, eine solche zeitliche Jouissanceerfahrung einfangen: Beim Betrachten eines Kinderfotos, das seine Mutter zeigt, ist sie ihm plötzlich völlig präsent (Barthes 1989, 78). Auch hier erodiert das logische Denken, die Bedeutung des Fotos, handelt es sich doch um ein Kinderfoto, also eines, das ihm seine Mutter in einem Zustand zeigt, in dem er sie gar nicht gekannt haben kann. In diesem Zusammenhang verweist Barthes auf Kristevas Begriff der „folle vérité“, der „verrückten Wahrheit“, die sich in der besagten Fotografie ausspricht als „Verschränkung von Wirklichkeit (‚Es-ist-so-gewesen‘) und Wahrheit (‚Das ist es!‘): „sie wird Feststellung und Ausruf in einem; sie führt das Abbild bis an jenen verrückten Punkt, wo der Affekt (Liebe, Leidenschaft, Trauer, Sehnsucht und Verlangen) das Sein verbürgt. Sie nähert sich dann tatsächlich der Verrücktheit […].“ (Barthes 1989, 124) Barthes’ und Kristevas Überlegungen zur Jouissance lassen sich vor diesem Hintergrund also über den Nexus der verlorenen Mutter verbinden und bringen so das Konzept einer scheinbar paradoxen, nicht prädikatenlogisch fassbaren Erkenntnisform zur Darstellung.

Wie für Barthes, so ermöglicht auch für Kristeva die Jouissanceerfahrung – wenn sie in Kunst manifestiert wird – eine Reflexion der Beschaffenheit von Kultur, die wir als Raum der Bedeutungen fassen können. Die eigentümliche künstlerische Leistung der Freilegung der Vorläufigkeit und des prozesshaften menschlichen Verstehens kann, jenseits von Einfühlung und Inhaltstransport, als „nicht-propositionale Erkenntnis“9 bestimmt werden – diesen Ausdruck übernehme ich von Gottfried Gabriel. Erkenntnis ist hier nicht als Aussage im Werk enthalten, sondern sie wird prozessual gedacht, als Ereignis in der Auseinandersetzung mit dem Werk (Eco 1993, Rebentisch 2013). Die Erkenntnis, zu der man in der Jouissanceerfahrung gelangen kann, ist entsprechend den Anforderungen der Moderne nicht länger die Erkenntnis einer Wahrheit, sondern die Einsicht in die prozessuale Beschaffenheit von Bedeutung.10

Nicht-propositionale Erkenntnis ereignet sich im Modus des Zeigens (Mersch 2010, 10 f.; Gabriel 1991, 10, 216)11, der immer ein Modus der Entselbstverständlichung ist, da Zeigen als Auffälligwerdenlassen Distanznahme voraussetzt und erzwingt. Was wird gezeigt, was „zeigt sich“ (Mersch 2002)? Es zeigt sich die reine Materialität und unser körperliches Affiziertsein durch sie – wenn auch immer nur für einen Moment, da beides sofort wieder mit Bedeutung überformt wird. Hier kann potentiell zweierlei erkannt werden: Erstens Bedeutung als Formung von Welt und, damit untrennbar verbunden, zweitens die Vergeblichkeit der Frage nach der Wahrheit im Sinne menschenunabhängiger Evidenz. Indem sie uns in ein erotisches Spiel mit Bedeutung und Bedeutungsentzug hineinzieht, ermöglicht es uns die Erfahrung der Jouissance, die moderne philosophische Verschiebung von der Wahrheit zur Bedeutung performativ nachzuvollziehen. Dies geschieht, indem sie unser Verstehen unterbricht und es so ermöglicht, Einsicht in unser nicht bloß intelligibles, sondern auch körperliches bedeutungsgenetisches Arbeiten an und mit den Dingen zu gewinnen. Daher handelt es sich also bei der Jouissance um eine Erscheinungsform nicht-propositionaler Erkenntnis.12

Die Einsichten, die sie ermöglicht, haben Auswirkungen auf das Verhältnis von Individuum und Kultur: Die künstlerische Auseinandersetzung Bellinis mit der abwesenden Mutter offenbart nach Kristeva die „Funktionsweise der jouissance“ (Kristeva 1984, 248, übers. M. R.). Diese Offenbarung war aber nur erreichbar, indem Bellini der Spur des Vaters folgte (der sich mit Malerei und Architektur beschäftigte). Wir sehen also, dass das Formlose nur über den Umweg der Form thematisiert werden kann. „Kultur ist ein Schicksal, zu dem wir verdammt sind“, schreibt Barthes einmal (Barthes 2006, 169), und trifft damit genau jene Dialektik, die Kristeva für Bellini beschreibt. Obwohl Kultur unhintergehbar ist, ist sie doch auch niemals abschließbar – es ist genau diese Einsicht die die Jouissance ermöglicht. Ironischerweise ereignet sich aber diese Einsicht in der Eintrübung des Blicks, dann nämlich, wenn das Subjekt von der Erotik des Fadings erfasst wird, wenn die Bedeutungen flirren. Die Erfahrung der Jouissance wirft uns nicht zuletzt in dieser Ironie zurück auf die fundamentale Risikohaftigkeit der Kultur, an der wir beständig weben, ohne ihre Textur je ganz erfassen zu können.

 

 


1 Sowohl die deutsche Übersetzung Ottmar Ettes als auch die Traugott Königs geben Jouissance mit ›Wollust‹ wieder, was eine starke Verkürzung des Begriffs impliziert. Barthes erweitert die Bedeutung des Lacan’schen, wesentlich sexuell konnotierten Begriffs der Jouissance zu einer Körper und Geist umfassenden epistemischen Erfahrung. Diese hat einige Konsequenzen für das Verhältnis von Individuum und Kultur, wie der weitere Blick auf Barthes’ Kulturphilosophie zeigt (Vgl. auch Reichert 2020). Dylan Evans bzw. Gabriele Burkhart übersetzen Jouissance als ›Genießen‹, doch auch diese Variante reflektiert nicht die lust- wie schmerzvolle Spannung zwischen Zerstörung und Schaffen, die die Pointe der barthes’schen Verwendung Begriffs darstellt. Ich benutze daher weiterhin den französischen Begriff ›Jouissance‹ und ersetze diesen im Folgenden in den Zitaten deutscher Übersetzungen Barthes’, was ich entsprechend kennzeichne.

2 Für Barthes ist die Psychoanalyse – neben der insbesondere ›linken‹ Politik – einer von »zwei Gendarmen«, die immer gleich zur Stelle sind, wenn man über Facetten des Lustvollen spricht: »Das Monument der Psychoanalyse muß durchschritten - nicht umgangen - werden wie die Prachtstraßen einer Großstadt, auf denen man spielen, träumen kann usw.: es ist eine Fiktion.« (Barthes 2015, 86) Zur Differenz zwischen Barthes und Lacan vgl. Martin Jay: Roland Barthes and the Tricks of Experience. In: Yale Journal of Criticism. 14/2 September 2001, S. 469–476, hier S. 470 und S. 475.

3 An manchen Stellen setzt Barthes – der Kontext seiner Begriffsverwendung legt dies jeweils nahe – „Jouissance“ mit „Lust“ gleich, niemals aber umgekehrt.

4 „die Sprache kommt immer von irgendeinem Ort, sie ist ein kriegerischer Topos.“ (Barthes 2015, 44 f.).

5 Für eine Überblicksdarstellung zum Begriff der Jouissance bei Lacan siehe Dylan Evans: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse. Übersetzt von Gabriele Burkhart. Wien 2002, S. 113-115.

6 “On the one hand, there is a tilting towards the body as fetish. On the other hand, a predominance of luminous, chromatic differences beyond and despite the corporeal representation. […] Worship of the fugurable, representable man; or integration of the image accomplished in its truthlikeness within the luminous serenity of the unrepresentable.” (Kristeva 1984, 243).

7 Auch dieser Aspekt findet sich bereits bei Barthes betont, vgl. Barthes 2001.

8 Vgl. hierzu auch Reichert 2020.

9 Diesen Begriff entlehne ich Gabriel 1991.

10 Für Barthes wie für Kristeva ist die Jouissance überdies eine epistemische Erfahrung, an der nicht nur der Geist, sondern auch unser Körper beteiligt ist – hier erblicken wir das Erbe Nietzsches, der in der Tradition Aristoteles’ den Leib als eine „große Vernunft“ bezeichnet hat, da schon sinnliches Empfinden selbst eine eigene Unterscheidungsleistung beinhaltet.

11 Auch Gabriel beschreibt nicht-propositionale Erkenntnis als Zeigen. Allerdings unterscheidet er aufweisendes (zeigendes) Mitteilen vom verweisenden (bezugnehmenden) Mitteilen. An dieser Stelle treten die Konzepte Merschs und Gabriels dann auseinander, insofern es sich bei Phänomenen der Anspielung und der Andeutung durchaus um ein Verweisen handelt.

12 Vgl. auch Reichert 2020.

 

Literaturverzeichnis

Apel, Karl-Otto (2001): „Verstehen“. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Band 11: U–V. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 918–938.

Barthes, Roland (2015): Die Lust am Text. Übersetzt von Traugott König. Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag, 3. Aufl.

Barthes, Roland (2006): Das Rauschen der Sprache. Kritische Essays IV. Übersetzt von Dieter Hornig. Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag.

Barthes, Roland (2001): ›Ich habe das Theater immer sehr geliebt, und dennoch gehe ich fast nie mehr hin.‹ Schriften zum Theater. Hg. von Jean-Loup Rivière, übersetzt von Dieter Hornig. Berlin: Alexander Verlag.

Barthes, Roland (1990): Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III. Übersetzt von Dieter Hornig. Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag.

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Mersch, Dieter (2010): Posthermeneutik. Berlin: Akademie Verlag.

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Reichert, Melanie (2020): Kultur in Stücken. Barthes, Brecht, Artaud. Bielefeld: Transcript Verlag.

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Autor:in: Melanie Reichert, Dr. phil., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Philosophischen Seminar der Universität Kiel und Lehrbeauftragte an der Muthesius Kunsthochschule.