Lena Barth, Paul Kaiser, Gonca Tuncel-Langbehn, Barbara Ruettner u. Lutz Goetzmann

Y – Z Atop Denk 2023, 3(3), 2.

Originalarbeit

Abstract: Vor dem Hintergrund von Migration, Globalisierung und Nationalisierung entstehen Fragen zu der Identitätsbildung junger Muslim:innen, die in Deutschland leben. Hier sind geschlechterbezogene Besonderheiten der Identität für das einzelne Individuum von größter Relevanz, um sich in der modernen Gesellschaft erfolgreich verorten zu können. In der vorliegenden qualitativen Studie wurden 50 Interviews mit jungen Muslim:innen im Alter von 18-25 Jahren durchgeführt, deren Eltern oder Großeltern aus der Türkei nach Deutschland migriert sind. Die Ergebnisse zeigen, dass generell die Gesellschaft bzw. Kultur einen großen Einfluss auf die jungen Muslim:innen haben. Die Identitätsentwicklung weist wesentliche geschlechterbezogene Besonderheiten auf: Junge Frauen beschreiben eine überwiegend gute, v.a. berufliche Integration in die deutsche Gesellschaft. In ihrer türkischen Familie stoßen sie jedoch eher auf Kritik, Entfremdung und Entwertung. Die Männer berichten eher über Diskriminierungen und Desintegrationserfahrungen. Andererseits erleben sie in ihrer türkischen Familie weniger Konflikte, sie erfahren als Söhne eine größere Wertschätzung als die Töchter. So zeigen sich divergierende Erwartungen, die an Männer und Frauen seitens der türkischen und deutschen Gesellschaft gestellt werden und die deren Identitätsbildung, aber auch deren innerseelischen Konflikte beeinflussen. Eine hybride migratorische Identität stellt dabei eine wertvolle Ressource zur Gestaltung transnationaler und postmoderner Lebenswelten dar.

Keywords: Islam, Migration, Integration, Geschlechter, Ödipuskomplex, Qualitative Forschung

Veröffentlicht: 30.03.2023

Artikel als Download: pdfGeschlechterspezifische Unterschiede in der Identitätsentwicklung junger in Deutschland lebender Muslim:innen

 

1. Einführung

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestanden enge, z.B. politische Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland. Nach dem zweiten Weltkrieg lag der Schwerpunkt im Wirtschafts- und Handelsbereich (Boos-Nünning & Karakasoglu 2004, S. 73 ff.). Eine Migration von Arbeitskräften aus der Türkei in großem Umfang setzte vor allem mit dem bilateralen Anwerbeabkommen 1961 ein. So stieg die Zahl der türkischen Migrant:innen von 6.800 im Jahre 1961 auf 910.500 im Jahre 1973. Die seitdem weiterhin anhaltende Zunahme der türkischen Bevölkerung in Deutschland ergibt sich aus Geburten, dem Familiennachzug bzw. der Heiratsmigration und der Asylzuwanderung.

Betrachtet man die Situation der türkischen Frauen, setzten diese Veränderungen bereits Jahrzehnte vor den großen Migrationsbewegungen der 60er und 70er Jahre ein. In der arabischen Welt publizierte der Jurist Qāsim Amīn schon um die Jahrhundertwende die bahnbrechenden Bücher The Liberation of the Woman und The New Woman, in welchen eine Modernisierung Ägyptens und u.a. die Abschaffung der Verschleierung gefordert wurde (Qāsim Amīn 2000). In der Folge traten auch muslimische Frauen selbst für ihre Rechte ein: 1923 gipfelte diese Entwicklung in dem Auftritt der ägyptische Frauenrechtlerin Hudā Scha‘rāwī, die vor den Augen der Öffentlichkeit ihren Schleier ablegte (Abdel Kader 1987). In der Türkei selbst sind diese Umwälzungen verknüpft mit der Gründung der türkischen Republik (Aksoy 2014). So führte der Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk in den 1920er-Jahren sein Modernisierungsprojekt eines pro-westlichen „Kemalismus“ mit zwei Zielen durch: 1.) die Verwestlichung des politischen, ökonomischen und sozialen Lebens, und 2.) die Verbannung des Islams aus dem öffentlichen Raum. Ein wichtiger Bestandteil dieses Modernisierungsprojekts, so Aksoy (2014) war die Aufwertung der Frau: 1924 wurden die Bildungsstätten säkularisiert, religiöse Schulen verboten, die Schulpflicht für Jungen und Mädchen eingeführt. 1934 führte das türkische Parlament das Wahlrecht für Frauen auf nationaler Ebene ein. Diese „von oben“ durchgesetzte Gleichstellung zeichnete ein neues weibliches Idealbild, nämlich das Bild der pro-westlichen, modern gekleideten und gut ausgebildeten türkischen Frau. Andererseits war die Reichweite dieser kemalistischen Reformen begrenzt. Vor allem in ländlichen Gebieten blieben die islamisch-patriarchalischen Strukturen fortbestehen, und die Mehrheit der Türkinnen und Türken hielt an traditionellen Werten fest. In den 1990er-Jahren sah sich die Türkei mit zunehmenden innergesellschaftlichen Konflikten konfrontiert, die u.a. durch den Aufstieg des politischen Islam und die kurdischen Autonomiebestrebungen ausgelöst wurden. Trotzdem kam es zunächst noch – etwa im Zusammenhang mit den Beitrittsprozess der Türkei zur Europäischen Union – zu weiteren Reformen: 2001 wurde das Zivilrecht erneut reformiert und die Gleichbehandlung von Frauen und Männern wurde im Ehe-, Scheidungs- und Eigentumsrecht festgeschrieben. In den letzten zehn Jahren nahm jedoch wieder das konservative Frauenbild der AKP-Regierung, die seit 2002 an der Regierung ist, überhand. Als Gegenmodell zum Begriff der „Geschlechtergleichheit“ wird nun das Konzept der „Geschlechtergerechtigkeit“ propagiert. Dieses beschreibt eine komplementäre Rolle von Frau und Mann und hat seinen Ursprung in der traditionellen islamischen Geschlechterordnung (Aksoy 2017). Erstaunlicherweise gelingt es der AKP-Regierung, ihre konservativen Vorhaben für Frauen (vor allem auf Land) attraktiv zu machen. Die heutige religiös begründete Sozialpolitik fördert zwar die submissive Rolle der Frau, aber sie vermittelt andererseits Gefühle von Schutz und Anerkennung (Kandiyoti 2016, S. 108). So ist heute die Stellung der türkischen Frau von großen Widersprüchen gekennzeichnet. Es liegen Welten zwischen den Freiheitsspielräumen von Frauen der Oberschicht in den Metropolen und dem Leben von Frauen in traditionellen Familien, die in den Randgebieten der Großstädte oder auf dem Land leben (Aksoy 2014). Entsprechend rangiert die Türkei heute (2020) in dem Global Gender Gap Report zur Gleichstellung der Geschlechter auf Platz 130 von 154, während Deutschland immerhin den zehnten Platz einnimmt (The Global Gender Gap Report 2020).

Vor diesem Hintergrund ist auch die Situation türkischer Migrantinnen in Deutschland zu betrachten. Insbesondere die seit den 90er Jahren durchgeführten Studien zu jungen Frauen mit türkischem Migrationshintergrund widersprechen dem weit verbreiteten, stereotypen Bild, dass türkische Mädchen vor allem unselbständige Opfer patriarchaler Familienstrukturen seien, die an den sich widersprechenden Anforderungen der Außenwelt (Emanzipation) und des Elternhauses (Unterordnung) zerbrechen (Boos-Nünning & Karakasoglu 2004, S. 24). Diese Befunde reflektieren auch den Emanzipationsprozess, der seit den 1920er Jahren den türkischen Frauen – v.a. in den städtischen Gebieten – mehr Freiheit, gesetzliche Gleichstellung und die Möglichkeit eines westlichen Lebensstils vermittelt hat.1 Edthofer & Obermann (2007) befragten türkische Mütter und ihre Töchter in Österreich. Während die Mütter überwiegend mit vielen Geschwistern in ländlichen Gebieten der Türkei aufwuchsen, verbrachte der Großteil der Töchter ihre Kindheit in kleineren Familien und in einem städtischen Umfeld. Die meisten Mütter konnten ihre Ausbildungswünsche – im Gegensatz zu ihren Töchtern – nicht verwirklichen. Die Heirat der Mütter erfolgte in jungen Jahren, während die Töchter ihre Familiengründung oft auf die Zeit nach der Ausbildung verschoben. Hier verweisen verschiedene Studien auf die große Bedeutung, die der schulische Erfolg der Kinder für die Eltern aus der ersten Migrantengeneration hat (Boos-Nünning & Karakasoglu 2005).

Hintergründig sind aber auch heute noch traditionelle Muster in der Erziehung des muslimischen Mädchens erkennbar. In Bezug auf ihre persönliche Freizeit werden Mädchen stärker reglementiert (Toprak 2019). Die Erziehungsziele der muslimischen Familien beziehen sich vor allem auf einen Zusammenhalt in der Fremde (als „ethnische Community“) sowie auf den beruflichen Erfolg der Kinder (Kelek 2008). Entsprechend erscheinen muslimische Mädchen in den Bildungsinstitutionen überwiegend angepasst, unauffällig und erfolgreich (Toprak 2019).

Mit dem „türkischen Mann“ hat sich die Forschung vergleichsweise wenig beschäftigt. Beschrieben wird die Vielfalt türkischer Männlichkeitsideale. Diese lassen sich unter anderem damit erklären, dass die Türkei einerseits als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches dessen multiethnisches und -religiöses Erbe angetreten hatte und zum anderen durch die pro-westliche Politik Atatürks und seiner Nachfolger geprägt wurde (Spohn 2015). Konservative Formen türkischer Männlichkeitsvorstellungen zeigen sich beispielsweise im „Familienpatriarchen“, der die Geschicke der Familie lenkt. Unter Atatürk wurde dann ein neues Männlichkeitsideal geschaffen, das an westlichen Vorbildern orientiert war. Dieser Riss durch die türkische Gesellschaft spaltet auch bis heute die Männlichkeitsideale (Yumul 1999). In den letzten Jahren rückte zudem das traditionelles Männlichkeitsideal – analog zu den restaurativen Bestrebungen hinsichtlich der Stellung der Frau – unter dem Einfluss der zunehmend islamistisch agierenden AKP-Regierung wieder stärker in den Vordergrund (Kelek 2008; Selek 2010).

Für die türkischen Männer der ersten Migrationsgeneration, die nach Deutschland kamen, begann die Migration mit einem oftmals traumatischen Abschied von der Heimat. Häufig ließen die Männer ihre Familien in der Türkei zurück. Bis heute scheinen die Biografien vieler in Deutschland lebender Türken geprägt von Heimweh und dem Gefühl des Ausgeschlossen-Seins (Kroth 2010). Das negative Bild des türkischen Mannes, das in Deutschland oftmals besteht, hat eine lange Vorgeschichte: Dieses Ressentiment wurde seit der Eroberung Konstantinopels 1453 von Adel, Kaiser und vor allem dem europäischen Klerus bewusst konstruiert, über verschiedene Bereiche (wie Sprache, Religion, Musik, Literatur) transportiert und in einseitige Stereotypen (z.B. von bedrohlicher Aggressivität) gegossen (Spohn 2015). In dieser Tradition steht letztendlich auch das heutige Ressentiment gegenüber dem „Islammacho“ (Bernard & Schlaffer 1980; Pinn & Wehner 1995). Das Streben nach „phallischer Sichtbarkeit“ trifft aber in der westlichen, feministisch geprägten - Welt auf eine negative Resonanz. So ist die Entwicklung türkischer Männer von dem Widerspruch von familiärer Idealisierung und gesellschaftlicher Entwertung bestimmt (Toprak 2019). Diese Problematik zeigt sich auch darin, dass junge Muslime häufiger (als Einheimische) die Schule abbrechen, eher arbeitslos werden und eine höhere Kriminalitätsrate aufweisen (Frindte et al. 2011). Vor allem in deutschen Großstädten gelten junge türkische Muslime als die Verlierer des deutschen Bildungssystems (Awisati & González-Sancho 2016).2

In dem vorliegenden Artikel untersuchen wir nun geschlechterspezifische Unterschiede zwischen jungen Musliminnen und Muslimen mit einem türkischen Migrationshintergrund, die in Deutschland aufgewachsen sind. Der Begriff Identität ist relativ neu. Er wurde erst gegen Ende 19. Jahrhunderts eingeführt und ist ein philosophisches Kunstwort, das eine "Wesenseinheit" bezeichnen soll (Brockhaus 1894-1896, S. 512). Ausgehend von Freuds Konzept der Identifizierung besteht bis heute die Auffassung einer Identität, die vor allem prozesshaft und fluide ist (Kaufmann 2005, S. 28, S. 48 ff.). Permanent wird das Identitätsgefühl revidiert, neu geschöpft und transformiert. Dieser Prozess vollzieht sich im Spannungsfeld von Selbstwahrnehmung des Individuums und den Einflüssen des soziokulturellen Umfelds (Kaufmann 2005, S. 59; Nicke 2018) und ist besonders interessant, wenn das Individuum an der Schnittstelle verschiedener soziokultureller Einflüsse, Traditionen und Umbrüche steht. Wir hoffen, dass wir in der Einleitung etwas von dem Spannungsfeld aufzeigen konnten, in welchem heute junge Musliminnen mit einem islamischen bzw. türkischen Migrationshintergrund stehen. Eine besondere Form, eine solche prozesshafte Identität zu beschreiben, bietet die Gender-Theorie. Geschlechtliche Identität wird nicht mehr als biologisch verstanden, sondern vielmehr als Folge von verschiedenen, bewussten und unbewussten soziokulturellen Einflüssen und normativem Verhaltensformen der Umwelt (Butler 1990; Benjamin 1990; Laplanche 2011). In der vorliegenden Studie wollen wir die Frage beantworten, wie sich die soziale, kulturelle und ethnische Identität junger Muslim:innen bildete, die in türkischen Migrantenfamilien aufwuchsen, und inwiefern hier geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen jungen Männern und Frauen bestehen. Diese Frage ist besonders interessant, als junge Muslim:innen mit einem Migrationshintergrund am Schnittpunkt verschiedener ethnischer, kultureller, religiöser und politischer Welten stehen, und die Aufgabe einer eigenen prozesshaften Identitätsbildung zu bewältigen haben. Diese Aufgabe wird durch die Migration verstärkt, dürfte aber schon dadurch gestellt worden sein, dass das Herkunftsland der Migrant:innen, die Türkei sich selbst sich an solch einem Identitäts-Schnittpunkt befindet.

 

2. Stichprobe, Studiendesign und Methodik

2.1. Stichprobe und Studiendesign

Im Sommer und Herbst 2018 führten wir insgesamt 50 Forschungsinterviews mit türkischen Muslim:innen zwischen 18 und 25 Jahren in Form einer Querschnittstudie durch. Die Interviews wurden von einer weiblichen und einem männlichen Kollegen aus der Forschungsgruppe durchgeführt. Diese Studie wurde von der Ethikkommission der Universität Lübeck am 10. 10. 2017 gebilligt. Um eine möglichst breite soziale Stratifizierung der Stichprobe zu erzielen, versuchten wir, unsere Proband:innen sowohl in der Universität wie in islamischen Gemeinden, Verbänden und Beratungsstellen in Norddeutschland zu akquirieren. Allerdings stießen wir in islamischen Institutionen auf eine deutliche Zurückhaltung gegenüber unserem Projekt. Nur die Mitglieder einer einzigen islamischen Gemeinschaft hatten sich bereit erklärt, an der Studie teilzunehmen. Die Mehrheit unserer Proband:innen waren deswegen Studierende. Die an der Studie teilnehmenden Muslim:innen (N = 50) waren 18 bis 25 Jahre alt (M = 22,32, SD = 1,93), in einer Geschlechterverteilung von 50 % weiblichen Probandinnen und 50 % männlichen Probanden. Die Probandinnen (n = 25) waren 18 bis 25 Jahre alt (M = 22,24, SD = 2,13) und die Probanden (n = 25) waren 18 bis 25 Jahre alt (M = 22,40, SD = 1,76). Die weiblichen und männlichen Proband:innen unterschieden sich nicht in ihrem Alter (U = 305,50, Z = -0,14, p = 0,89). Drei Proband:innen standen kurz vor dem Abitur (6 %), 3 Proband:innen waren Berufsschüler:innen (6%), 7 Proband:innen waren in überwiegend handwerklichen Berufen beschäftigt (14 %) und 37 waren Student:innen (74 %).

Die Interviews wurden mit einem halbstrukturierten Interviewleitfaden geführt. Die Fragen umfassten folgende Bereiche: Beziehungserfahrungen, Selbstbewusstsein/Selbstbild, Konflikte und traumatische Erfahrungen, körperliche Erfahrungen, Geschlechtsidentität und Migration. Wir luden die Teilnehmer:innen ein, frei über sich selbst, ihre Gedanken und ihre Welt zu sprechen. Die Interviews wurden audio-dokumentiert, transkribiert und in das qualitative Softwareprogramm atlas.ti importiert.

 

2.2. Qualitative Datenanalyse

Zunächst führten wir eine Probekodierung der ersten zehn Interviews durch. Auf der Grundlage dieser Kodierungen wurde ein Codebuch erstellt, welches als Grundlage für die Kodierung aller Interviews diente. Strukturale und Offene Codes wurden entworfen und Ideen und Beobachtungen während des Analyseprozesses in Memos aufgezeichnet. Der Prozess wurde fortwährend supervidiert.

Die Strukturalen Codes (SC) wurden aus der sozialwissenschaftlichen Theorie abgeleitet. Diese wurden deduktiv bereits vor der Kodierung der Interviews erstellt. Sie beinhalten die unterschiedlichen Formen der hier erhobenen Identitäten (sozial, kulturell, ethnisch) sowie Fragen hinsichtlich der Geschlechtsidentität, z.B. hinsichtlich dem Frauenbild, oder dem Männerbild. Bei der Datenanalyse der ersten zehn Interviews wurden dann induktiv, aus den Äußerungen der Proband:innen abgeleitet, Offene Codes (OC) entwickelt. Alle Codes wurden in einem Codebuch mit einer Definition und Ankerbeispielen beschrieben. Die weiteren 40 Interviews wurden mithilfe dieses Codebuchs kodiert. Mit Hilfe des Memo Writing wurden alle Ideen, Assoziationen und Mini-Theorien während des Kodierungsprozesses aufgezeichnet (Glaser und Holton 2004). Ferner wurde mit Hilfe einer Co-Occurence-Analyse das gleichzeitige Auftreten offener und strukturalen Codes untersucht.Tabelle 1 zeigt das Codebook.

 

→ Strukturale Codes:


Soziale Identität

• Definition

Es wird von sozialer Identität berichtet. Die soziale Identität setzt sich zusammen aus der Mitgliedschaft einer oder verschiedener sozialer Gruppen sowie der Bewertung dieser. Die Bewertung der Gruppenmitgliedschaft ergibt sich aus dem Vergleich (nicht ausschließlich der Abwertung) dieser Gruppe mit anderen relevanten Gruppen (Mummendey 1984).

• Ankerbeispiel 1

„Ich sitze gern mit den Leuten am Tisch meiner Familie in der Türkei.“

• Ankerbeispiel 2

„Ich verbringe sehr viel Zeit mit der Familie, sind alle eng miteinander aufgewachsen.“


Kulturelle Identität

• Definition

Es wird von kultureller Identität berichtet. Die kulturelle Identität entsteht durch das Zugehörigkeitsgefühl eines Individuums zu einem Kollektiv. Diese Unterscheidung wird vor allem aufgrund von gesellschaftlich Aspekten (dabei z. B. Sprache, Religion, Rituale) getroffen. Kulturelle Identität entsteht aus der Konstruktion des „Eigenen“, die durch den Gegensatz zu einem „Anderen“ hervorgerufen wird. Über die Sozialisation wird das Individuum in die kulturelle Identität eingebunden (Ganguin & Sander, 2008).

• Ankerbeispiel 1

„Ich liebe die Sprache und die Religion.“

• Ankerbeispiel 2

„Mein Freund sagt auch immer, dass ich dieses türkische Temperament in mir habe. Also ich glaube das kann man auch nicht ablegen, auch wenn man den deutschen Pass hat oder sowas. Die ist auf jeden Fall da, diese Mentalität, unser Temperament.“


Ethnische Identität

• Definition

Es wird von ethnischer Identität berichtet. Bei einer ethnischen Gruppe handelt es sich um eine abgrenzbare Gruppe, die aufgrund ihres Gemeinschaftsgefühls als eine Identität erkannt wird. Grundlage dieser Ethnizität können eine gemeinsame Abstammung, die Geschichte oder eine Verbindung zu einem bestimmten Gebiet sein. Die Zugehörigkeit zu mehreren Ethnien ist möglich (Erdheim 1992a, 1992b).

• Ankerbeispiel 1

„Ich bin Türkin.“

• Ankerbeispiel 2

„Von der väterlichen Seite gab es keine Unterstützung. Weil, ich war das Kind der Kurdin. Man hat die Ehe nicht befürwortet.“


Frauenbild

• Definition

Es wird von spezifischen Eigenschaften eines Frauenbildes berichtet. Dabei entsteht ein spezifischer Eindruck, bzw. eine spezifische Vorstellung von der weiblichen Rolle. Die Einstellung zu dieser Rolle wird mit diesem Code nicht erhoben.

• Ankerbeispiel 1

„Es geht mir einfach darum, dass ich als Frau etwas in der Hand habe, etwas erreicht habe, womit ich das Gefühl habe, ich bin unabhängig.“

• Ankerbeispiel 2

„Wenn Kinder da sind, kann die Frau sich in der Zeit um die Kinder kümmern. Sie soll nicht arbeiten müssen.“


Männerbild

• Definition

Es wird von spezifischen Eigenschaften eines Männerbildes berichtet. Dabei entsteht ein spezifischer Eindruck, bzw. eine spezifische Vorstellung von der männlichen Rolle. Die Einstellung zu dieser Rolle wird mit diesem Code nicht erhoben.

• Ankerbeispiel 1

„Ich weiß nicht warum, aber ich würde dann eher, also ich will dann eher auch schon die… so diese Mann-Rolle einfach haben. Ich weiß nicht, ob das jetzt altmodisch ist, aber es ist einfach vom Gefühl so.“

• Ankerbeispiel 2

„Der Geschlechtstausch, also ich kann ihnen sagen, mein Vater fasst im Haushalt nicht an, sprich Staubsaugen oder Essen auch nicht. Das berichte ich ihnen ganz offen und ehrlich. Aber meine Vorstellungen sind nicht so. Also meine Vorstellungen sind, ich finde, man kann eine gerechte Aufteilung machen… man kann sozusagen seiner Liebe auch behilflich sein bei sowas oder man sollte es auf jeden Fall tun, sag ich mal.“


 

→ Offene Codes:


Stigmatisierung

• Definition

Es wird von Stigmatisierung berichtet. Von Kardoff (2010) beschreibt Stigmatisierung als einen Vorgang „nur schwer umkehrbarer klassifizierender Zuordnung von Personen seitens der Mehrheitsgesellschaft“. Die Stigmatisierung unterliegt gesellschaftlichen Veränderungen, als Phänomen bleibt Sie jedoch zumeist ein unausweichlicher Normalfall erhalten.

• Ankerbeispiel 1

„Aber dieses Isoliertheitsgefühl kommt auch, das sind so ganz kleine subtile Dinge… wenn sich in der Bahn Jemand wegsetzt, wenn ich auf der Straße komisch angeguckt werde, oder komisch angesprochen werde, solche Sachen.“

• Ankerbeispiel 2

„Wenn es ums Gewinnen geht, macht man`s gemeinsam, aber wenn man verliert, sucht man sich dann irgendwie das schwächste Glied, was dann irgendwie auch ganz zufällig auch noch irgendwie ein Deutsch-Türke ist. Integration soll passieren, aber… es ist halt so schwierig.“


Familie

• Definition

Es wird von der Familie berichtet. Die Familie umfasst alle Eltern-Kind-Gemeinschaften unterschiedlicher Gestaltung, bestehend aus mindestens zwei Generationen in einem Haushalt.

• Ankerbeispiel 1

„Ich glaube, dass Familie mir das wichtigste ist, weil, egal was passieren sollte, die Familie kann Jemanden immer auf die Beine stellen. Also Familie steht bei mir an erster Stelle. Zusammenhalt auf jeden Fall. Zusammenhalt sollte in der Familie eigentlich immer herrschen. Deshalb gehe ich jetzt auch von Familie aus. Das ist etwas Gegebenes.“

• Ankerbeispiel 2

„Ich bin jetzt voll im Berufsleben. Wie gesagt, ich habe jetzt meine eigene Familie… die muss ich jetzt auch natürlich versorgen.“


Triangulierung

• Definition

Es wird von einer Triangulierung berichtet. Diese wird als Bildung eines Beziehungsdreiecks bestehend aus drei Individuen oder einem symbolischen Dritten (hierbei z. B. die Arbeit, die ein neues Thema mit in ein Dyadisches Geschehen einbringt) verstanden.

• Ankerbeispiel 1

„Mein Freund studiert auch islamische Religion auf Lehramt, auf wissenschaftlicher Ebene reden wir viel miteinander über Gott… also mit dem mache ich das viel, aber mit meinen Eltern, also mit meinem Vater kaum eigentlich.“

• Ankerbeispiel 2

„Nur im Fußball, da ist es anders, da bin ich ein anderer Mensch, aber das muss so sein, Wettkampfbedingungen.“


Kollektivistische Struktur

• Definition

Es wird von kollektivistischen Strukturen berichtet. Unter Kollektivismus wird ein System von Werten und Normen verstanden, in dem das Wohlergehen des Kollektivs die höchste Priorität einnimmt (Dahl, 2000). Die Interessen des Individuums werden den spezifischen Motiven der Gruppe untergeordnet.

• Ankerbeispiel 1

„Gegenüber Freunden, was mir jetzt so direkt einfällt, ist, dass ich, als ich jünger war, damit kein Streit entsteht, manchmal einfach meine Meinung nicht gesagt habe.“

• Ankerbeispiel 2

„Was mir noch so wichtig ist, dass ich Zuhause bleibe für die nächsten paar Jahre, mit meiner Familie sehr viel Zeit verbringe, mit meinen Freunden sehr viel Zeit verbringe.“


Religion

• Definition

Es wird von Religion und/ oder Religiosität berichtet, in der vorliegenden Arbeit vor allem in Bezug auf die sogenannten Buchreligionen (Judentum, Christentum, Islam) genommen. Religion kann Wertvorstellungen, menschliches Verhalten, Handeln, Denken und Fühlen prägen und in diesem Zusammenhang unterschiedliche Funktionen erfüllen (Kluge, 2013). Universale Elemente von Religion zeigen sich in den individuellen Wünschen nach Sinnfindung, moralischer Orientierung sowie dem Streben nach der Wiedervereinigung der diesseitigen Existenz mit seinem jenseitigen Ursprung (Pollack 1995).

• Ankerbeispiel 1

„Ich habe meinen Glauben.“

• Ankerbeispiel 2

„Das Türkische… ich kann die Religion nicht so gut von der türkischen Kultur abgrenzen.“


Enttäuschung

• Definition

Es wird von Enttäuschung berichtet. Das Gefühl der Enttäuschung entsteht durch die Nichterfüllung einer Erwartung, meist einhergehend mit einer Unzufriedenheit.

• Ankerbeispiel 1

„Aber ich bin mit einem sehr unzufrieden, und zwar auch wenn man der deutschen Sprache mächtig ist, auch wenn man den deutschen Pass besitzt, auch wenn man hier geboren ist, als Ausländer betrachtet wird. Das finde ich traurig, weil ich finde, ich zahle genauso meine Steuern oder ich füge genauso meinen Teil hinzu, wie jeder Deutsche auch sonst.“

• Ankerbeispiel 2

„Ich würde natürlich meine Eltern enttäuschen. Das ist auch sehr wichtig.“


Zufriedenheit

• Definition

Es wird von Zufriedenheit berichtet. Das Gefühl der Zufriedenheit beschreibt einen Zustand der Ausgeglichenheit. Dieser setzt voraus, dass die vorhandenen Bedingungen und Verhältnisse ein Wohlgefühl erzeugen.

• Ankerbeispiel 1

„Also wir als Familie sind echt schon cool, weil wir besprechen uns sehr oft am Frühstückstisch. Wir haben Rituale, dass wir samstags und sonntags immer zusammen frühstücken. Das Wochenende ist wirklich immer für ein Frühstück und für Diskussionen.“

• Ankerbeispiel 2

„Und das hat mich eigentlich total erleichtert, ich habe nicht mehr den Drang dazu gehabt etwas zu finden, weil ich hatte es dann einfach.“


Ambivalenz

• Definition

Es wird von Ambivalenz berichtet. Die Ambivalenz wird als ein Gefühl der Zerrissenheit zwischen zwei Aspekten beschrieben. Aus diesem entsteht entweder ein Spannungszustand oder eine Akzeptanz der Ambivalenz.

• Ankerbeispiel 1

„Es war immer ein hin-und-her bei mir. Ich habe mich wirklich nie deutsch gefühlt, zu keinem Zeitpunkt meiner Jugend, Kindheit, gar nicht! Türkisch habe ich mich auch nie gefühlt, aber nicht so. Also ich habe mich Türkisch gefühlt, aber nicht so wie die Türken in der Türkei, das ist ein großer Unterschied.“

• Ankerbeispiel 2

„Manchmal bleibe ich ruhig und manchmal bin ich aufbrausend, das ist sehr unterschiedlich.“


Arbeit/Leistung

• Definition

Es wird von Arbeit oder leistungsorientiertem Verhalten (z. B. hinsichtlich eines Studiums) berichtet. Mit Leistung wird zumeist eine mühevolle Handlung beschrieben, die ihren Wert aus dem dafür investierten Engagement zieht.

• Ankerbeispiel 1

„Meinen Eltern war es zum Beispiel sehr wichtig, dass ich in der Schule sehr weit komme, dass ich vorankomme, auch mit durchschnittlichen Noten. Also Bildung war auch sehr wichtig bei uns, ist es immer noch.“

• Ankerbeispiel 2

„Ich würde sagen, dass ich eine zielstrebige Frau bin, eine, ich würde schon sagen, weltoffene.“


Wertschätzung

• Definition

Es wird von Wertschätzung berichtet. Mit Wertschätzung kann eine positive Bewertung eines anderen Menschen beschrieben werden (Rohr 2017; Klein 1957), unabhängig von einer erbrachten Leistung (im Kontrast zur Anerkennung). Das Gefühl der Wertschätzung kann sowohl gegenüber einem Individuum, einer Eigenschaft oder einem Objekt entstehen.

• Ankerbeispiel 1

„Mein Vater ist auch ein sehr charakterstarker Mensch, auf jeden Fall, sehr selbstsicher in dem was er tut und was er macht.“

• Ankerbeispiel 2

„Es ist eigentlich ein sehr schönes Gefühl. Weil ich da einfach das Gefühl habe, da habe ich etwas, was andere nicht haben.“


Interpersoneller Konflikt

• Definition

Es wird von einer konfliktreichen Spannung im Rahmen eines interpersonellen Konflikts berichtet. Dabei wird das Aufeinanderprallen widerstreitender Auffassungen beschrieben, die zum Zerwürfnis führen können.

• Ankerbeispiel 1

„Und das ist schmerzhaft, das ist, ich sag mal, sehr anstrengend, sehr zermürbend. Es gab schon echt sehr oft Momente, wo ich mir dachte ich kann das nicht mehr, wo ich in Tränen, ich bin wirklich so in Tränen ausgebrochen und dachte mir: ich kann das nicht mehr, ich kann nicht mehr streiten. Aber dann steht man wieder auf und sagt ok, ich will nicht so leben, dann muss ich auch weitermachen. Dann boxt man sich halt so durchs Leben.“

• Ankerbeispiel 2

„Ich möchte nicht das Kopftuch, ich möchte auch gerne mal meine Haare schön machen, ich möchte mich auch mal schöner schminken. Irgendwann bin ich geplatzt und habe gesagt, ich möchte das nicht mehr. Wobei die Mama dann natürlich meinte: nein, das machst du nicht.“


Mutter

• Definition

Es wird von einer Mutter und/oder mütterlichen Eigenschaften berichtet. Der Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung kommt in der Psychoanalyse ein besonderer Stellenwert zu. Die Mutter stellt dabei die erste Bezugsperson des Kindes dar, welche die emotionale Bindung und Versorgung gewährleisten kann. Diese Bindungserfahrung kann das weiterführende Leben (dabei vor allem andere Beziehungen und das Vertrauen in diese) maßgeblich beeinflussen.

• Ankerbeispiel 1

„In der Kindheit war meine Beziehung eigentlich immer gut zu meinen Eltern, zu beiden, sowohl zu Mama als auch zu Papa, wobei ich zu Mama immer eine festere Beziehung hatte.“

• Ankerbeispiel 2

„Meine Mutter ist auch ein Hindernis. Ich finde sie macht mir zu viel, zu sehr Druck. Druck ist ja immer schlecht an sich. Manchmal ist es gut. Aber sie macht es halt zu viel.“


Vater

• Definition

Es wird von einem Vater und/ oder väterlichen Eigenschaften berichtet. Der Bedeutung der Vater-Kind Beziehung kommt in der Psychoanalyse ein besonderer Stellenwert zu. Dabei entsteht durch den Vater die Erweiterung der Mutter-Kind-Dyade zur Triangulierung. Indem der Vater dem Kind als triangulierender Dritter zur Verfügung steht, kann der symbiotische Konflikt mit der Mutter gelöst werden und die Individuationsfähigkeit damit gestärkt werden. Diese Bindungserfahrung kann das weiterführende Leben (dabei vor allem andere Beziehungen) maßgeblich beeinflussen.

• Ankerbeispiel 1

„Mein Vater ist ein sehr fröhlicher Mensch, er liebt es zu arbeiten. Er hat immer zweimal die Woche frei, wenn er frei hat schläft er entweder zuhause ein vor Langeweile oder er will immer raus mit meinem Bruder immer was machen. Also er ist ein Mann, der sich immer sehr gern bewegt.“

• Ankerbeispiel 2

„Bei meinem Vater steht diese Stolz-Sache eher so im Vordergrund. Nein, ich glaube, die Liebe von Papa hat ein bisschen gefehlt. Er war sehr streng, also, wenn ich Blödsinn gemacht habe, dann gab`s mal so Handgreiflichkeiten.“


 

Die Interrater-Reliabilität (Übereinstimmung zwischen zwei Ratern) wurde anhand des statistischen Maßes Krippendorff´s Alpha berechnet. In der vorliegenden Studie zeigen alle Codes eine ausgezeichnete Interrater-Übereinstimmung (cu-⍺ = .99).

Die Interpretation der Ergebnisse entstand aus der beschriebenen, eingehenden Untersuchung des Materials, der Sichtung von Kodierungen und einem anschließenden fachlichen Austausch über die gewonnenen Ergebnisse im Rahmen unserer Forschungsgruppe.

 

3. Qualitative Ergebnisse

3.1. Die Frauen

Mit dem Code kulturelle Identität treten v.a. die offenen Codes Religion (n = 31), Vater (n = 20) sowie interpersonelle Konflikte (n = 18) auf. In den Interviews berichten die Probandinnen v.a. dann über ihre kulturelle Identität, wenn diese mit religiösen Entscheidungen verbunden ist. Hier spielt das Tragen des Kopftuches eine große Rolle, um zu bestimmen, wer die Probandinnen sind. Mit dem Beginn der Adoleszenz entschied sich folgende Probandin, ihre islamische Identität anhand des Kopftuchs zum Ausdruck zu bringen:

„Ich habe das Kopftuch angefangen zu tragen vor genau zehn Jahren, da war ich in der sechsten Klasse und ich habe das mit meiner Lehrerin besprochen, dass ich das machen möchte. Und dann hat sie so eine Einführung gegeben, was das Kopftuch überhaupt ist und welche anderen Kulturen das auch machen, das war ganz gut, aber das, was dann passiert ist, die Menschen haben gemerkt, da ist jemand anders.“

Trotz der Begleitung durch die Lehrerin, musste die Probandin die Alteritätserfahrung als gläubige Muslima akzeptieren.

Solche Entscheidungen können auch innerhalb der türkischen Familie zu interpersonellen Konflikten insbesondere zwischen Müttern und Töchtern führen. Anhand des Kopftuchs wird zum Ausdruck gebracht, ob eine Frau für oder gegen den Kemalismus, den westlichen Lebensstil, die weibliche Emanzipation bzw. den Islam und dessen Traditionen eingestellt ist. Identifizierungen mit Vorbildern oder nahestehenden Personen bilden hier ein dichtes und vielschichtiges Motivationsgeflecht, das den Entscheid zum Tragen eines Kopftuches maßgeblich beeinflusst. So erlebt eine der Probandinnen, deren Tante als erfolgreiche Akademikerin ein Kopftuch trägt, dieses als Zeichen der Emanzipation. Eine andere Probandin grenzt sich durch das Kopftuch von ihrer Mutter ab, welche aus Angst vor Diskriminierung auf das Tragen eines Kopftuchs verzichtet. Bei anderen Probandinnen steht das Kopftuch für die eigene Autonomie gegenüber der liberal-säkularen Familie, welche diesen säkularen Stil bereits aus der kemalistisch aufgestellten Türkei mitbrachte.

Zwar wird die Stellung des Vaters als traditionelles Oberhaupt der Familie in den Interviews durchaus problematisiert. Gleichzeitig anerkennen die Töchter eine gewisse Offenheit und Liberalität der Väter, die sowohl dem (beruflichen) Kontakt mit der deutschen Gesellschaft wie einer kemalistischen Prägung zu verdanken ist. Grundsätzlich werden die Väter der Proband:innen, die selbst überwiegend studieren und sich zur Mittel- bzw. Oberschicht zählen, als eher liberal geschildert, auch wenn sie sich der Tradition verbunden fühlen. Insofern wird die kulturelle Identität, z.B. eine junge, emanzipierte Frau zu sein, die ihre eigene Partnerwahl trifft, von den Vätern eher gestützt. So berichtet eine Probandin:

„Aber mein Papa spricht mich sehr oft an. Er fragt mich andauernd, ob ich mit Jemandem spreche. Er hat mich letztens angesprochen gehabt, dass ein Junge mich kennenlernen möchte, und mich gefragt, ob ich es möchte oder nicht, ob ich mit ihm geschrieben habe oder nicht. Da habe ich einfach gesagt, dass ich es nicht will. Also er ist recht locker, also recht offen in der Hinsicht auch.“

Für die jungen Musliminnen ist ihre soziale Identität ein wichtiges Thema (n = 92). In diesem Zusammenhang werden die Begriffe Familie (n = 31), Wertschätzung (n = 15) und kollektivistische Struktur (n = 14) am häufigsten erwähnt. So hat die Familie für die meisten der Frauen einen ausgesprochen hohen Stellenwert (wie übrigens auch für die meisten Männer). Regelmäßig wird der Mythos eines freundschaftlichen Zusammenhalts zwischen den Eltern und Kindern bzw. den Geschwistern und Anverwandten beschworen:

„Für mich ist das Wichtigste im Moment natürlich meine Familie und der Familienzusammenhalt. Ich finde es natürlich schöner, wenn wir alle zusammen sind. Es ist halt so, wie man sich eine freundschaftliche Beziehung vorstellt. Man lebt in einem Haus. Wir sehen uns rund um die Uhr. Und es ist halt so, ich habe sehr gute freundschaftliche Kontakte und die pflege ich auch. Aber die Geschwister, das sind für mich auch Freunde. Und das sind halt für mich beste Freunde.“

Auch bei der (gegenseitiger) Wertschätzung steht die Familie ganz oben. Entsprechend wird die ganze türkische Gemeinschaft entsprechend dem familiären Vorbild als kollektivistisch (im Sinne kollektivistischer Strukturen beschrieben: „Die türkische Gesellschaft ist sehr kollektivistisch. Das mag ich.“ – Insofern erleben sich die jungen Frauen selbst als ausgesprochene, auf Harmonie bedachte Familienwesen, für welche das Aufgehobensein in der Familie äußerst wichtig ist. Viele der befragten jungen Frauen stellen die familiäre Harmonie über eigene, möglicherweise von den Interessen der Familie divergierenden Wünsche. So sagt eine Probandin:

„Also ich habe den Eindruck, dass die Familie sehr wichtig ist, also, dass man da stark zusammenhält, ja, dass man so eine Einheit ist, das finde ich schon ist ziemlich türkisch, also, weil es da irgendwie sehr familiär ist und ja, das ist auch immer noch so, dass es mir schwerfällt, vor anderen was Schlechtes über meine Familie zu sagen, weil es ist so, ja, meine Familie möchte ich schützen irgendwie, und wir halten zusammen und ja, das finde ich schon ist was Schönes.“

Einige Frauen berichten dennoch über Konflikte und schwierige Beziehungen, die sie vor allem zu ihren Müttern haben, und die ihre problematische, im Grunde gespaltene soziale Identität prägen: Hier stellt sich die Frage, ob die Probandinnen sich mit ihren Müttern identifizieren oder in Rivalität zu diesen stehen. So äußert sich folgende Probandin über den Streit mit der Mutter, deren Rivalität und das eigene Bemühen nach Individuation:

„Mit meiner Mutter ist es sehr ambivalent, es ist mal sehr gut, ja, sehr gut, und mal nicht so gut. Meist gibt es sogar sehr viel mehr Streit. Es ist auch dieser Vergleich: ich habe ja etwas komplett Anderes erlebt als meine Mutter und daher unternimmt sie wahrscheinlich einen unbewussten Vergleich und sieht dann alles, was sie hätte haben können, in mir und ich glaube, das führt dann zu einer gewissen Resignation oder zu einer gewissen Trauer und ja, dann hat sie, glaube ich, das Gefühl, dass sie sich mit anderen Dingen aufwerten muss. Zum Beispiel kann ich nicht kochen, oder nicht so gut kochen, oder so gut putzen, oder einfach andere Dinge (...). Das ist ziemlich eindrücklich, ehrlich gesagt, dass ich mich komplett zum Gegenteil meiner Mutter entwickelt habe, eigentlich.“

Die Ethnische Identität (n = 88) wird vergleichsweise selten erwähnt. Unter den offenen Codes treten am häufigsten Stigmatisierung (n = 51), interpersonelle Konflikt (n = 32) und Enttäuschungen (n=10) auf. Oftmals beschreiben die jungen Frauen, dass sie als türkische Migrantinnen stigmatisiert werden. Sie reagieren auf rassistische Bemerkungen v.a. mit Gefühlen der Enttäuschung. Im Gegensatz zu den Männern berichten sie eher über diskrete Stigmatisierungserfahrungen oder erleben diese – wohl im Rahmen des oben geschilderten hohen Anpassungsdrucks – auch weniger gravierend als die Männer:

„Ich hatte vor zwei Monaten eine, die hat mich gefragt, ob ich deutsche Wurzeln habe und ich sagte nein, ich habe türkische Wurzeln, und dann meinte sie ja, Ausländer wie sie mögen wir ja. Und ich so ok, was heißt jetzt Ausländer wie ich? Und dann meinte sie so ja, die halt was tun und machen und die die halt neu da sind, die mögen wir nicht.“

Im Zusammenhang mit der ethnischen Identität können interpersonelle Konflikte zwar eine Rolle spielen, aber diese fallen eher rational und wenig affektbetont aus. So argumentiert in folgendem Beispiel die Probandin mit ihrer akademischen Karriere, als sie wegen des Kopftuchs beleidigt wurde.

„Da war ich beim Arzt, wo der ältere Mann mich beleidigt hat wegen meines Kopftuches, da habe ich einfach zum Beispiel sagen können, dass ich Studentin bin, im xxx Semester bin und xxx studiere.“

Das Frauenbild der Musliminnen, über das ausführlich berichtet wird (n = 180), wird v.a. durch die Motive der Mutter (n = 29), Triangulierung (n = 19) sowie die Rolle des Vaters (n = 18) bestimmt. Aus dieser Perspektive ist das Frauenbild sehr deutlich durch die triadischen, innerfamiliären Beziehungen geprägt. Die Mutter wird über die Attribute „versorgend“, „nährend“ und „organisiert“ beschrieben. Das Muster „Geben, ohne etwas zu erwarten“ scheint das Bild der Mutter bzw. des Mütterlichen gut zu definieren. Analog zu dem derzeit in der Türkei propagierten Modell der „Geschlechtergerechtigkeit“ wird Mutterschaft und Weiblichkeit in dem Frauenbild der Probandinnen eng miteinander verknüpft. So bringt eine Probandin diese Sichtweise folgendermaßen auf den Punkt: „Eine Frau ist Mutter.“ Man könnte auch sagen, dass die damit meint: Als Frau muss ich eine Mutter sein. Im Vergleich zu den Vätern werden die Mütter (n = 18) oftmals als emotionaler, temperamentvoller, aber auch als dominanter beschrieben. Durch die häufige, in der Regel berufliche Abwesenheit der Väter übernehmen die Mütter wichtige erzieherische Entscheidungen, die seitens der Väter kaum hinterfragt werden.

„Also meine Mama ist sehr organisiert und übernimmt manchmal auch die Führung, ganz grob gesagt. Mein Vater weiß über nichts Bescheid, sie regelt einfach das meiste, sie weiß über alles Bescheid.“

Oft sprechen die Probandinnen über das Dreieck von Mutter, Vater und Tochter (wie in dem obigen Beispiel). Die Position des Dritten nehmen häufig aber auch Motive wie Schule, Bildung oder berufliche Leistung ein, so dass die väterliche, durch das geringe familiäre Engagement eher unterminierte Position mit Hilfe dieser Form von Triangulierung gestärkt scheint. Der machtvollen Position der Mutter innerhalb der Familie steht jedoch eine Tendenz zur Passivität, Verschlossenheit und geringen Integration in der Gesellschaft gegenüber. Die jungen Frauen reflektieren in den Interviews oft über verpasste Chancen im Leben der Mütter, ohne dass darüber in den Familien selbst gesprochen wird. Oft sprechen sie von Schuldgefühlen, den mütterlichen Erwartungen (nach Loyalität) nicht entsprechen zu können. Gerade die Loyalität gegenüber dem islamischen Glauben und seiner Rituale, welche das geistige Milieu der Familie bestimmen, erscheinen als eine Art „Wiedergutmachung“ hinsichtlich der eigenen Individuationsbestrebungen. In diesem Konfliktfeld treten nicht nur Schuldgefühle auf, sondern gelegentlich auch eine schuldhafte Unruhe und quälende Angst, etwas falsch zu machen (nämlich eigenständiger, beruflich erfolgreich und emanzipiert zu sein), die psychosomatischen Symptomen (z.B. Schwindel) begleitet werden. Insofern ist die weibliche Identität tatsächlich eine gespaltene, die sich aus einer Identifikation mit der Mutter (Frau = Mutter) und einer Gegenbesetzung (Frau = emanzipiert, beruflich erfolgreich) ergibt. Die Gegenbesetzung wird durch die Triangulierung, als durch die Hinwendung zum Vater bzw. dem Bildungssystem als Drittem gestützt.

 

3.2. Die Männer

Die Männer sprechen am häufigsten über ihre ethnische Identität (n = 94), und zwar vor allem im Zusammenhang mit den Themen Stigmatisierung (n = 67), interpersonelle Konflikte (n = 41) und Enttäuschung (n = 12). Es werden viele Stigmatisierungserfahrungen und auch Konflikte berichtet, auch wenn manche Probanden diese Erfahrungen mit positiven Erlebnissen zu relativieren versuchen:

„Ich habe beide Erfahrungen gemacht. Gute und auch schlechte. Ich habe auch schon voll rassistische Sachen gehört bekommen. Das ist alles schon passiert. Das gehört aber glaube ich zum Leben eines Migranten dazu (lacht). Sollte nicht, aber es ist immer dabei. Nein, aber es ist auch erstaunlich, wie viel andere es gibt, die auch für uns Einsatz zeigen.“

„Ich würde mich nicht sofort als Türke oder Deutscher abstempeln. Und wer mir krumm kommt, wie zum Beispiel, ‚du bist doch Türke, dann sei doch Türke‘, mit dem halte ich auch sofort Abstand, das geht gar nicht.“

Die jungen Männer fühlen sich von den xenophoben und islamophoben Diskriminierungen schwer verletzt, und ihre ethnische Identität läuft Gefahr, durch diese Ressentiments negativ beschädigt („kaputt“) und minderwertig zu werden. Häufig äußern sie Gefühle der Enttäuschung:

„Dass man halt so hohe Kriterien ausspricht, finde ich sehr traurig. Und die Psyche eines Menschen geht, na klar, kaputt darunter. Ein ganzes Land hasst dich.“

Sie berichten oft über einen inneren, konfliktreichen Zwiespalt, Türke oder Deutscher zu sein. Ihre Sehnsucht nach „Richtigkeit“ oder „Vollständigkeit“ wird frustriert:

„Man ist niemals ein richtiger Türke, man ist aber auch kein vollständiger Deutscher, das geht einfach nicht, weil der Kulturraum ein anderer ist.“

So treten die Beziehungen, v.a. innerhalb der türkischen Familie kompensatorisch in den Vordergrund. Als Gegenbild zur beschädigten Identität als Migrant wird ein positives Bild als gastfreundlicher, großzügiger und stolzer türkischer Mann aufgebaut:

„Weil wir Türken, wir sind gastfreundliche Menschen. Man kann nicht alle in einen Topf schmeißen, es gibt natürlich solche und solche, aber im Großen und Ganzen finde ich die Deutschen jetzt nicht so gastfreundlich wie die türkische Familien. Ich fühle mich wohler bei meinen türkischen Freunden.“

Auch über die kulturelle Identität wird sehr häufig gesprochen, vor allem im Zusammenhang mit Themen der Religion (n = 12), der Ambivalenz (n = 12), der Wertschätzung (n = 11), der Konflikte (n = 11) und Familie (n = 6). Meist wird über den Glauben bzw. die Religion berichtet bzw. über die Familie, in der die Religion und deren Riten gepflegt werden:

„Ich bin islamisch aufgewachsen. Meine Eltern haben mich zwar nicht streng aufgezogen, aber ich habe dann noch durch Freunde die Kultur kennengelernt. Ich bin auch mal eine Zeit zur Moschee gegangen.“

Die kulturellen Unterschiede zwischen der türkischen und der deutschen Kultur führen zu Ambivalenzen und Konflikte. So, wie die Frauen die Identifikation mit ihrer Mutter (als fruchtbare, emotionale, aber auch neidische Frau) nicht mit der Identität als emanzipierte, westliche, berufliche Frau zusammenbringen, fällt es den Männern schwer, die stolze türkische Identität mit einer deutschen Identität zusammenzubringen, welche die türkische entwertet.

„Es ist eine kritische Situation. Es ist schon nicht immer einfach mit türkischer Kultur und deutscher Kultur zusammen. Das ist alles nicht so einfach, denke ich schon. Manchmal gibt es Unterschiede in der Auffassungsweise.“

Andererseits findet sich auch eine Wertschätzung der deutschen Kultur: Immer wieder werden hier Merkmale wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit genannt:

„Nein, das ist wirklich so ein Thema. Das kriegen die (Türken) nicht gebacken. Pünktlichkeit. Dass man manche Sachen viel lockerer aufnimmt als Deutsche. Dass man sagt, ja, passiert schon nichts.“

Über die Soziale Identität (n = 79) wird am seltensten berichtet. Auch hier geht es wieder um Familie (n = 25), Wertschätzung (n = 21) und die kollektivistische Struktur (n = 12). Die Familie als kollektivistische Struktur ist für die soziale Identität der jungen Männer eindeutig bestimmend. Sie sind in einer ungebrochenen Weise „Familienwesen“: Von der Mutter geliebt, vom Vater, der Vorbild ist, als Söhne respektiert. Es dominiert eine deutliche Wertschätzung der Familie. So sagt folgender Proband:

„Die Beziehung zur Familie war schon immer gut, also bei uns war es immer gut: bei mir, meinen Eltern, meinem Onkel, den Tanten, Cousins, weil wir oftmals was zusammen machen im Monat oder auch zusammen in den Urlaub fliegen und alles immer zusammen geplant haben, dass alle zusammen unterwegs sind als Menge und das auch schon seit klein auf (...). Man achtet schon so drauf, dass man sich regelmäßig mit der Familie sieht und auch wenn es mal, natürlich gibt’s in jeder großen Familie mal Streitereien, aber meistenteils wird das dann immer geklärt oder auch so beseitigt, dass man nichts davon mitbekommt, beziehungsweise, dass es dann unter zwei Personen bleibt und die Familie trotzdem untereinander etwas macht.“

Die väterlichen Vorbilder gewährleisten eine gute Grundlage für eine sichere und stabile soziokulturelle Identität. Der folgende Proband kann deswegen genau sagen, wer er ist: ein Moslem, der weiß, was richtig und falsch ist.

„Mein Vater hat es mir so beigebracht, pass dich der Gesellschaft an, aber vergiss trotzdem nicht, was du bist und woher zu kommst und wie du aufgezogen wurdest. Und das war halt für mich immer so, dass ich immer gesagt habe, ich bin Moslem, ich weiß, wer ich bin, ich weiß, was richtig und was falsch ist. Natürlich handle ich manchmal falsch, aber ich passe mich halt den Umständen an, die hier in meiner Umgebung passieren.“

Nur vereinzelt tauchen Hinweise auf eine innere Konflikthaftigkeit auf, die mit den Verhältnissen in der Familie bzw. dem Vater zu tun haben. In diesen Ausnahmefällen wird der Vater kritischer dargestellt, nämlich, dass er gegenüber dem Sohn emotional distanziert ist:

„Ja, also der Bezug, den ich zu meinem Papa habe, ist auch sehr stark und eng, weil ich liebe meinen Vater natürlich, aber ich kann mich nicht daran erinnern, wann er mich das letzte Mal umarmt hat zum Beispiel, aber trotzdem ist so die Liebe da, ist vielleicht ein bisschen komisch, aber ich habe nicht so einen Bezug zu meinem Vater wie andere den vielleicht haben, also das ist schon ein bisschen anders. Ich glaube, das ist bei Türken generell ein bisschen anders, dass ihnen das Liebe-Zeigen immer etwas schwerer fällt, aber wenn es wirklich drauf ankommt, würde ich eine Kugel für ihn fangen. Also so stark ist es schon, würde ich sagen.“

Das Männerbild der Muslime wird vor allem durch die Themen Vater (n = 13), innere Konflikte (n = 11) und berufliche Leistung (n = 8) bestimmt. In der Auseinandersetzung mit den Vätern wird sehr häufig von Stolz und Loyalität gesprochen. Es wird betont, wie kraftvoll, ehrgeizig und erfolgreich die Väter beruflich seien, trotz aller Hindernisse infolge der Migration. Da sie meist die Alleinverdiener sind, stehen sie unter einer hohen Arbeitsbelastung und sind im familiären Alltag oftmals abwesend, was ihnen aber meistens verziehen wird. So bringt ein junger Mann die familiären und beruflichen Strukturverhältnisse folgendermaßen auf den Punkt: „Papa geht arbeiten, Mama bleibt zu Hause.“ Auf Grund dieser beruflichen Tätigkeit wirken die Väter besser in Deutschland integriert: „Auf jeden Fall finde ich, dass mein Vater so ein bisschen angepasster an die westliche Kultur ist.“ Zudem werden die Väter als Vorbilder beschrieben, die ihr Leben (im Vergleich zu den Müttern) gelassener gestalten, sozusagen „ruhiger durch das Leben ziehen“ und mehr Distanz zu familiären Entscheidungen ausstrahlen, was als natürliche Souveränität gedeutet wird. Deswegen wird den Vätern doch eine „oberste Priorität“ zugeschrieben:

„Mein Vater ist gelassen, aber ich sehe ihn immer noch als die oberste Autorität, die oberste Autoritätsperson. Er ist ja immer noch mein Vater so, und egal, was er sagt, es ist dann Gesetz, sag ich mal.“

Die familiären Beziehungen und das darüber vermittelte Männerbild sind für die Probanden kaum von inneren Widersprüchen bestimmt. Die männliche Machtposition wird befürwortet, auch wenn manche Probanden von dem Druck berichten, diese Position ausfüllen zu können.

„Der Mann im Haus zu sein, bedeutet für mich in schwierigen Situationen die Autoritätsperson zu sein, die dann Befehle gibt. Und dass man dann, wenn jeder was Anderes sagt, komm, wir machen das jetzt einfach so. Fertig ist.“

 

4. Diskussion

Vor dem Hintergrund einer komplexen sozio-kulturellen Situation mit einer Vielzahl von Umbrüchen und widersprüchlichen Entwicklungen bereits in der Türkei und sowie den Erfahrungen der Migration untersuchten wir die soziale, kulturelle und ethnische Identität junger muslimischer Frauen und Männer, die in Deutschland aufgewachsen sind. In diesem Artikel fokussieren wir v.a. auf mögliche geschlechterspezifische Besonderheiten in der Identität dieser jungen Frauen und Männer. Wir werden zunächst die Ergebnisse zu diesen Themen diskutieren und dann auf spezifische Konstellationen in der Identitätsbildung eingehen, indem wir besondere Merkmale des Ödipuskomplex herausarbeiten. Wir werden die These vertreten, dass die jeweilige ödipale Konstellation und deren Lösung die interpersonalen Beziehungen, das berufliche Fortkommen, die gesellschaftliche Integration und das Lebensgefühl überhaupt der jungen Muslim:innen nachhaltig bestimmt.

 

4.1. Die Identität der muslimischen Frauen und Männer

Die muslimischen Frauen erwähnen in unseren Interviews am häufigsten die kulturelle und soziale Identität, die durch einen sehr typisch wirkenden Konflikt zwischen eigenen Individuationsbestrebungen und der Angst vor dem mütterlichen Missfallen geprägt ist. Dieser Konflikt wird durch den Wunsch verschärft, von den Eltern als loyales Mitglied der Familie anerkannt zu werden. Eine fehlende Anerkennung ist umso bedrohlicher, als dass die deutsche Gesellschaft keine sichere Alternative zu Familie darstellt, sondern mehr oder weniger explizit zur xeno- und islamophoben Diskriminierung neigt. Oft versuchen die Frauen, den Konflikt mit ihrer Mutter durch die Hinwendung zur Religion zu entschärfen. Sie zeigen diese Loyalität durch das Einhalten von Ritualen und ihren Glauben, beispielsweise aber auch durch das Tragen eines Kopftuchs. Solche Merkmale, wie v.a. das Kopftuch, können allerdings, der vielschichtigen Situation geschuldet, durchaus äquivok sein. Sie sind Ausdruck dessen, was Freud (1921, S. 107) und später Lacan (2002 [1958], S. 253; Friedman 2016, S. 159) als einen „einzigen Zug“ (single/unary trait) bezeichneten, das heißt, dass sich das Subjekt mit einem einzigen Merkmal des Andern identifiziert. Das Kopftuch kann für die religiöse Verbundenheit, für eine transnationale islamische Einheit, Emanzipation oder für die identifikatorische Nähe zu einer geliebten Person, etwa einem verstorbenen Großvater stehen: Hier wird die Religiostät entlehnt, um eine Gefühl der Geborgenheit und Nähe zu bewahren, und das Kopftuch wird ein Merkmal dieser Entlehnung, stabilisiert aber bei vielen Proband:innen auch ihr Ich-Ideal.

Über die Interviews hinweg wird deutlich, dass die Frauen, gleichwohl sie die (mittlerweile politisch motivierte) Doktrin einer Rollen-Identität von „Frau“ und „Mutter“ verinnerlicht haben, gegenüber dieser Rollenfestlegung kritisch eingestellt sind. Ihre primäre, also spiegelbildliche oder imaginäre Identifikation (Friedman 2016, S. 155) mit der Mutter führt zu einer weiblichen Identität, die sich durch ihre biologische Fruchtbarkeit und die Erziehungsfunktion in der Familie bestimmt: „Ich bin (nur) eine Frau, wenn ich Kinder habe.“ Andererseits ist es allen Frauen, die überwiegend an einer Universität studieren, ein emanzipatorisches Anliegen, beruflich gut ausgebildet und erfolgreich zu sein: „Ich bin eine moderne, berufstätige Frau“. Dieser Konflikt zwischen einer westlich-kemalistischen und traditionell-islamischen Identität brachten die Frauen bereits aus der türkischen Gesellschaft mit. Er wurde durch die Modernisierung der türkischen Gesellschaft im 20. und 21. Jahrhundert bereits angelegt. Er wird aber durch die Widersprüche zwischen der im Großen und Ganzen alternativlos westlich-säkularen Ideologie in Deutschland und der gegenwärtigen konservativ-islamistischen Ideologie in der Türkei erheblich verschärft.

Wir haben den Eindruck, dass viele der Frauen hier keine Lösung im Sinne einer „hybriden“, verschiedene Tendenzen verbindenden Identität finden, sondern eher eine, wie wir sagen möchten, eine auf Anpassung bedachte „Chamäleon-Identität“ ausbilden. Eine solche Identität wird durch eine subtile Spaltung stabilisiert. Sie erlaubt es den Töchtern, in der Familie (und v.a. gegenüber der Mutter) eher gläubig und traditionsbewusst aufzutreten, während außerhalb der Familie ein beruflich-emanzipierter Lebensstil gewählt wird. So perfektionieren die jungen Frauen eine beeindruckende „Umstellfähigkeit“, indem sie sich an die jeweilige Umwelt perfekt anpassen. Auch berichten einige Frauen über Ängste, Druck und psychosomatische Symptome, die möglicherweise die Höhe des Preises für eine solche „Chamäleon-Lösung“ anzeigen.

Nicht immer bleiben die Mutter-Tochter-Konflikte unter dem Deckel einer familiären Harmonie konserviert. Einige Frauen berichten auch von schwierigen und offen-konflikthaften Beziehung zu ihren Müttern. Es ist tatsächlich so, dass türkische Frauen der ersten Generation über ein schlechteres Qualifikationsprofil als ihre Töchter verfügen sowie geringere Deutschkenntnisse, ein tieferes Bildungsniveau und seltener eine Berufsausbildung aufweisen (Stichs 2008). Die Töchter stehen somit unter dem Druck, das berufliche Manko der Mütter auszugleichen, sich von diesen abzugrenzen und ihnen dennoch loyal zu bleiben. Diese Lösung steht im Kontrast zu Forderungen türkischer Feministinnen wie etwa der – auch in westlichen Medien umstrittenen – Rechtsanwältin Seyran Ateş (2009), die eine umfassende, sexuelle Emanzipation anstelle einer leistungsbezogenen Teil-Emanzipation der Musliminnen fordern. Die Väter jedenfalls nehmen hier eine triangulierende, eindeutig weniger konfliktreiche Position ein, die auf Grund ihrer beruflichen Tätigkeit ihren Töchtern den identifikatorischen (leistungsorientierten) Weg in die deutsche Gesellschaft eröffnet. - Zwar berichten auch die Frauen hinsichtlich der ethnischen Identität von Stigmatisierungserfahrungen. Solche Erfahrungen werden jedoch im Vergleich zu den Berichten der Männer seltener erwähnt und in der Regel als weniger gravierend dargestellt. Oft berichten die Frauen von pseudo-positiv formulierten Diskriminierungen, welche zwar zu Enttäuschung und Ärger über die dadurch erfolgte Ausgrenzung führen, aber weniger zu aktiven, kompensatorischen Handlungen veranlassen. Fasst man diese Ergebnisse zusammen, so lässt sich die Identität der jungen Musliminnen in Deutschland folgendermaßen beschreiben:

Die Musliminnen sind ausgesprochenes Familienwesen, aber hin und her gerissen zwischen ihrer Identifikation mit der Mutter als eine emotionale und fruchtbare Frau und der Abgrenzung ihr gegenüber, die in beruflicher Hinsicht kein Vorbild ist und deren Neid sie fürchten müssen. Ihnen ist nicht ganz klar, was ihre weibliche Identität definitiv bestimmt: Sind sie eher eine fruchtbare Mutter oder beruflich emanzipiert? Sie fühlen sich von ihrem Vater in ihrem beruflichen Fortkommen gefördert und verstanden, selbst wenn der Vater auch die Tradition vertritt. Auf jeden Fall versuchen sie, sich zu arrangieren und der jeweiligen Situation anzupassen. Innerhalb der Familie hilft Ihnen der Glaube, trotz dieser Konflikte ein Familienwesen zu sein und es mit den Eltern gut zu haben. Trotzdem haben sie manchmal Angst und Schuldgefühle. Sie fühlen sich unter Druck und haben Körperbeschwerden, wie Schwindel. Als muslimische Türkinnen fühlen sie sich zwar von der deutschen Gesellschaft oft abgelehnt, aber sie können dies mit der Rückbesinnung auf ihren beruflichen Erfolg wett machen und sich im Übrigen auch in diesem Punkt gut anpassen.

Die Männer erwähnen am häufigsten die ethnische Identität, und es überwiegen Passagen, in welchen die Themen des Stigmatisierung und der Ausgrenzung vorkommen. Diese werden seitens der Männer offener und affektgeladener als von den Frauen benannt. So schildert ein Proband die xenophobische Berichterstattung deutscher Medien und seine persönliche Antwort, in dem er sich auf seine türkische ethnische Identität zurückzieht:

„Also die deutschen Medien finde ich in der Hinsicht sehr angreifend. Die attackieren die kulturellen Werte so. Auch wenn es nicht der ist, dem du was unterstellst, aber dass man direkt spricht ja, Türkei so, Türkei das, Türkei dies. Dann irgendwann denkt man so, ich bin stolzer Türke, was ist das hier, was sprechen die hier so.“

Die Anerkennung, die die jungen Männer in der Familie erhalten, mit der eher idealisierenden Liebesbeziehung zur Mutter und einem Vater, dessen patriarchale Position Respekt auslöst und der sich als Identifikationsobjekt anbietet, wird seitens der deutschen Gesellschaft nicht nur verweigert, sondern ins entwertende Gegenteil verkehrt. Wenn der stolze türkische Mann in den Spiegel der deutschen Gesellschaft schaut, erscheint ein gehasster Ausländer, dessen Religion als eine barbarische Bedrohung gilt. So bewirkt die deutsche Stigmatisierung eine reaktive, selbstwertfördernde Stärkung der türkisch-muslimischen Identität (Herding 2014).

Die soziale und kulturelle Identität wird vergleichsweise konfliktfrei beschrieben. Die Männer schildern keine Probleme, elterliche Werte zu übernehmen, es bestehen kaum Anzeichen einer Rebellion oder konflikthaften Auseinandersetzung. Lediglich ein Proband berichtet, dass er gemeinsam mit seinem Bruder in der Adoleszenz kriminell wurde und mehrere Haftstrafen verbüßte. Er schildert allerdings auch eine familiäre broken-home-Situation mit einer sehr distanzierten Beziehung zu seinem seinerseits traumatisierten Vater. Normalerweise aber wird der Vater bewundert, v.a. für seinen Fleiß und seine Autorität, und es besteht vorrangig der Wunsch, den väterlichen Erwartungen gerecht zu werden. Das Männerbild erscheint widerspruchsfrei-konsistent und wird in unseren Interviews kaum problematisiert. Gleichzeitig scheinen die jungen Männer auch keine Probleme damit zu haben, dass ihre (türkischen) Partnerinnen durchwegs in Ausbildung bzw. berufstätig sind. Die prototypische Identität der Männer ließe sich also folgendermaßen beschreiben:

Die Identität der Muslime ist klar und eindeutig ein „Familienwesen“: Sie fühlen sich als Söhne von ihren Müttern geliebt und von ihrem Vater, der ihnen als tatkräftiger und leistungsorientierter Mann ein gutes Vorbild ist, respektiert. Ihnen ist klar, dass dieser Respekt auch mit einer gewissen emotionalen Distanz einhergeht. Manchmal stehen sie unter Druck, wenn sie diese Machtposition des Vaters selbst ausfüllen müssen. Aber sie sind loyal und stehen immer zu ihrer Familie. Was sie sehr trifft, sind die xenophoben und islamophoben Diskriminierungen. So, wie sie sich innerhalb der Familie als stolzer türkischer Mann erleben, fühlen sie sich in der deutschen Gesellschaft oft beschädigt, entwertet und minderwertig. Sie fühlen sich weder als Türke noch als Deutscher vollständig. Obwohl sie manche Merkmale der deutschen Kultur wertschätzen, sind sie von Deutschland enttäuscht und haben Mühe, sich als Deutschen zu erleben.

 

4.2. Migratorische Erfahrung im Kontext des Ödipuskomplex

Freud betrachtete den Ödipus-Komplex als Schibboleth, d.h. als ein Bestandteil seiner psychoanalytischen Theorie, welcher zentral ist und auf den nicht verzichtet werden kann. Der Ödipus-Komplex wurde später immer wieder der Kritik unterworfen, v.a. in Hinblick darauf, dass er das triadische Familienbild heteronormativ, d.h. ideologisch zementieren würde. Dass wir in den Interviews immer wieder auf ödipale Themen gestoßen sind, mag in gewisser Weise damit zusammenhängen, dass die meisten Proband:innen aus Familienverhältnissen stammen, die tatsächlich eine triadische Struktur aufweisen, die denjenigen Familien nicht unähnlich sind, aus denen Freuds Patienten im Wien des Fin de Siecle stammten. – Der Ödipuskomplex wird als die Gesamtheit der Liebes- und feindseligen Wünschen verstanden, die das Kind gegenüber seinen Eltern empfindet (Laplanche 2011). Das Kind wendet sich, so die ursprüngliche Konzeption, dem gegengeschlechtlichen Elternteil zu und rivalisiert mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, vor dessen Sanktionen („Kastration“) es sich fürchtet (Freud 1905). Der Ödipuskomplex löst sich, indem sich das Kind, d. h. sowohl die Tochter wie der Sohn, mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil identifiziert. Damit gewinnt das Individuum die Freiheit, sich später, im Erwachsenenalter, auf einer reifen, objektalen Ebene partnerschaftliche Beziehungen einzugehen (Freud 1924). In Lacans Sicht auf den Ödipus besteht die Aufgabe des Vaters darin, eine Triade herzustellen, also das Kind darin zu unterstützen, sich aus der Dyade mit der Mutter zu lösen, damit weitere Entwicklungsschritte möglich werden (Lacan 1964; Evans 1996, S. 130 ff.). Eine ganze Reihe von Studien, die u.a. in Afrika oder in Indien durchgeführt wurden, aber auch kasuistische Beobachtungen mit iranischen, türkischen und arabischen Patienten belegen, dass der Ödipus-Komplex universell gültig ist (Parin, Morgenthaler und Parin-Matthèy 1963, 1971; Parin 1972; Tripet 1990; Kakar 1998; Ramanujan 1991; Ardjomandi 2000, 2013). Allerdings weist der Ausgang bzw. die Auflösung des Ödipus-Komplexes kulturspezifische Besonderheiten auf (Ardjomandi 2013). Die anale Frage des Besitzens (z.B. der Mutter) und des aggressiven Tötens (z.B. des Vaters) sah Parin (1972) in der Reinlichkeits- und Leistungserziehung der Europäer begründet. Dagegen tritt z.B. bei dem afrikanischen Volk der Dogon nicht der Vater, sondern das Kollektiv an die Stelle des Dritten (Parin 1972). In islamischen Ländern ist der Ödipuskomplex, so Ardjomandi (2013) dadurch gekennzeichnet, dass die Söhne durch die Väter real (und nicht nur in der Phantasie) „kastriert“ werden, sobald sie in eine Konkurrenz mit den Vätern treten:

„Die Kastrationsangst, d.h. die Angst vor väterlichen Sanktionen scheint damit stärker und begründeter zu sein als in modernen westlichen Kulturen, in welchen die Stellung des Vaters eine Relativierung und Destabilisierung erfuhr. Die projektive Fantasie, dem Vater völlig ausgeliefert und einer tödlichen Bedrohung ausgesetzt zu sein, erhöht die aus der Entwicklungspsychologie bekannte Angst des Jungen (des Kindes) vor der Kastration durch den Vater so sehr, dass spezifische Abwehrmaßnahmen notwendig sind, um die Angst kontrollieren und die gefürchtete tödliche Bedrohung abwenden zu können. Auch die Väter entwickeln in Folge ihrer Macht und ihrer vorbewussten Aggressivität vor allem gegen die männlichen Nachkommen erhebliche Angst, die sie binden müssen.“ (Ardjomandi 2013, S. 62)

Das Besondere des „islamischen“ Ödipus-Komplex besteht darin, dass dieser in der Akzeptanz der Autorität eines „Übervaters“ mündet, mit welcher sich der Junge dann identifiziert, um in die patriarchale Traditionslinie einzutreten. Das bis dahin prekäre, durch beidseitige Ängste bestimmte Verhältnis zwischen Vater und Sohn wird durch die für den islamischen Kulturkreis typische Abwehrstrategien der Etikette und Ritualisierung geregelt (Ardjomandi 2013, S. 62, siehe auch Wöhr 2019).

 

4.3. Der Ödipuskomplex bei muslimischen Frauen

Leider gibt es unseres Wissens nach keine Veröffentlichungen zum weiblichen Ödipuskomplex im islamischen Kulturraum. Unsere Interviews legen jedoch offen, dass der weibliche Ödipus-Komplex der türkischen Migrantinnen v.a. durch die konflikthafte Beziehung mit der Mutter bestimmt ist: Die Mütter sind auf ihre erfolgreichen Töchter neidisch, und letztere haben Schuldgefühle. Sie wollen sich nämlich nicht (nur) an den dyadischen Vorgaben der Mutter orientieren, sondern suchen gezielt dritte, triangulierende Position, die durch den Vater und die deutsche Gesellschaft, namentlich das Bildungssystem vertreten wird. Die Schule bzw. Universität werden für viele Musliminnen zum „Namen-des-Vaters“, d.h. zum symbolischen Vater, der die partielle Emanzipation ermöglicht. Entsprechend werden die Väter überwiegend positiv geschildert: Hier unterscheidet sich der moderne Weg der Musliminnen klar von dem (gescheiterten) Ausgang des weiblichen Ödipus, den Freud (1923) ursprünglich beschrieb, nämlich, dass die Frau aus den Verhältnissen ihrer Ursprungsfamilie gleichermaßen in die patriarchale Ehe weitergereicht wird, und ihr Mangelgefühl lediglich durch Babys kompensiert werden kann. Diese Variante scheint erneut im Rahmen der „Geschlechtergerechtigkeit“ der neo-islamistischen AKP-Ideologie propagiert zu werden.

Andererseits besteht für die interviewten Musliminnen folgende Problematik, die wir die „unmögliche Identifikation“ nennen wollen und welche den Ausgang des Ödipus-Komplexes mitbestimmt: Die Identifikation mit der Mutter, die die Gleichung „Frau = Mutter“ verkörpert, steht in einen Widerspruch zur Emanzipation der Töchter. Viele lösen dieses Problem der „unmöglichen“ Identifikation, indem sie sich entweder dezidiert von den Müttern (d.h. den äußeren Identifikationsobjekten) distanzieren. Sie hinterfragen das „Gesetz der Mutter“ (Morel 2019), dass die weibliche Identität durch Kinder bestimmt ist und ringen um eine „forcierte Identifizierung“ mit dem Vater (Goetzmann et al. 2014).

Gleichzeitig haben die Hinwendung zum Glauben, der familiär stark verwurzelt ist und das Leben der Familien rituell durchdringt, den Charakter von Wiedergutmachungsversuchen: Der Glaube ist die Brücke über das scheinbar Unüberbrückbare. Eine weitere Milderung des Identifikationsbruchs besteht darin, dass die Töchter mit ihrer beruflichen Ausbildung mütterliche Delegationswünsche erfüllen. Sie zeichnen damit Züge des Ideal-Ichs der Mutter nach, etwa, dass eine Frau mit Kopftuch beruflich durchaus erfolgreich sein kann (wenn die Gesellschaft diese Karriere zulässt). – Die Lösung des Ödipuskomplexes besteht also in der (triadischen) Anerkennung des Vaters, der aus dieser Perspektive die westliche Gesellschaft repräsentiert. Aus dieser Sicht hätten die Väter eine „ödipale Hilfsidentifikation“ zur Verfügung gestellt, die es den Töchtern erlaubt, sich in der westlichen Gesellschaft zu bewähren, ohne die ursprüngliche Identifikation mit der Mutter (die sich sowohl im Glauben als auch in den Fantasien über eine eigene Familie zeigt) ganz aufgeben zu müssen.

 

4.4. Der Ödipuskomplex bei muslimischen Männern

Die Muslime in unserer Studie scheinen die ödipale Triangulierung im Vergleich zu den Frauen als weniger problematisch zu erleben. Sie schildern gute und sehr respektvolle Beziehungen zu den Vätern, die Autoritätspersonen geachtet werden. Selbst wenn eine Kritik besteht, etwa, dass der Vater emotional distanziert ist, wird diese Kritik damit relativiert, dass diese Distanz typisch für das türkische Vater-Sohn-Verhältnis sei. Die von Ardjomandi (2013) geschilderte Angst vor der realen Bedrohlichkeit des Vaters (einschließlich der Angst des Vaters vor der realen Bedrohlichkeit der Söhne) ließ sich in unseren Interviews hinter der Etikette einer respektvollen Höflichkeit erahnen, mit welche alle Söhne über ihre Väter sprachen, sowie dem Befolgen der v.a. religiösen Rituale (das Gebet, das Einhalten der Ramadan-Gebote und der Familienfeste). Allem Anschein nach besteht der Ausgang des Ödipus-Komplexes für die jungen Muslime darin, dass der Vater seine triangulierende Funktion als mächtiges, möglicherweise bedrohliches Objekt erfüllt. Im Schatten dieser Triangulierung können die Söhne über ihre (oft schwärmerisch anmutende) Liebe zu Mutter sprechen. Möglicherweise wird jedoch der real-bedrohliche Aspekt des Vaters nicht innerhalb der Familie, sondern außerhalb, nämlich seitens der deutschen Gesellschaft erlebt, die sich für eine solche projektive Verarbeitung auf Grund ihres kastrierend-diskriminierenden Verhalten geradezu anbietet. Die bedrohliche Seite der Vater-Imago hat sich hier aus dem Korsett der Etikette und Rituale befreit und tritt als diskriminierende Presse bzw. in Gestalt deutscher Alltagsrassisten auf. Genau dieser projektive Shift, der durch die stigmatisierende Realität nach Kräften gefördert wird, kann jedoch wiederum zu einer Radikalisierung der Muslime führen. Im äußersten Fall wird der Vater in Form von Attentaten auf deutsche bzw. westliche Einrichtungen oder Leute bekämpft.3 Die im Vergleich zu den Frauen wesentlich stärkere Reaktion auf Diskriminierungen lässt sich u.a. mit dieser Komplikation des Ödipus-Komplexes erklären. Ein weiterer Grund für die heftigere affektive Reaktion liegt natürlich darin, dass die starke, den Selbstwert fördernde Stellung innerhalb der Familie in doppelter Weise in Frage gestellt wird: Die jungen Muslime werden in der deutschen Gesellschaft sowohl als Männer wie als Ausländer diskriminiert. Die Identifizierung mit dem mächtigen Vater wird durch die westliche Kultur in schmerzlicher Weise korrigiert. Aus diesem Schmerz ergibt sich der Rückzug in die (narzisstisch seduktive) Familie – bis hin, im Extremfall, zur religiösen Radikalisierung mit Ersatz der Familie durch die Glaubensgemeinschaft. Geneviève Morel (2018) beschreibt Radikalität deswegen als ein Widerstand gegen soziale Ungerechtigkeit, die sich in einer dreistufigen Entwicklung zeigt: Loslösung von den bisherigen Strukturen, innere Leere und Verführung zu einer neuen religiös-politisch geprägten Identität. Als Triebfeder hinter dem radikalen Handeln sieht Morel den Wunsch, Kränkungen zu kompensieren und sich gegenüber den Anderen zu revanchieren. Die Entwicklungsaufgabe der jungen Muslime liegt darin, einen eigenen Weg zwischen türkischer Familie und der Individuation in der deutschen Gesellschaft zu finden, ohne den eigenen Stolz zu verlieren bzw. einer seduktiven Radikalität zu verfallen.

 

5. Begrenzungen der Studie

Vor allem die Auswahl unserer Proband:innen stellt eine wesentliche Limitierung der Studie dar. Trotz unserer Bemühungen, eine soziale Stratifizierung herzustellen, waren fast drei Viertel der Teilnehmenden Studierende. Diese Schwierigkeiten für die untersuchte Stichprobe gelten als typisch (vgl. Rau et al. 2020). Unsere Ergebnisse beschränken sich deswegen auf eine Gruppe junger, gebildeter Migrant:innen, die überwiegend aus klassisch triadischen Familienstrukturen stammen. Eine weitere Limitierung besteht darin, dass die Proband:innen ausschließlich binär-heterosexuell sind. Personen mit weiteren Gender-Identitäten sowie mit einem dritten, diversen Geschlecht wurden in unserer Studie nicht untersucht. Mit Sicherheit besteht hier ein weiterer Forschungsbedarf, etwa im Rahmen einer queeren Psychoanalyse, die sich mit Migrationsfragen beschäftigt. Zudem konnte nicht mit erhoben werden, inwiefern die Interviewsituation (welche etwa hälftig von einer weiblichen Kollegin und einem männlichen Kollegen gestaltet wurde) einen Einfluss auf die geschlechterspezifische Gesprächsthematik ausübte. Weitere Forschung zu dieser Fragestellung wäre wichtig, um diesen möglichen Einfluss sowohl auf die Aussagen der Proband:innen als auch auf die Interpretation der Ergebnisse zu untersuchen. Eine weitere Limitierung dieser Arbeit zeigt sich durch die einfließende Subjektivität, etwa in der Entscheidung bestimmte Wörter für die Analyse des Materials zu nutzen oder den spezifischen Interpretationen der Ergebnisse. Trotz einer sehr guten Gesamtübereinstimmung aller verwendeten Codes im Rahmen des statistischen Maßes Krippendorffs Alpha, zeigt sich diese Begrenzung der Subjektivität auch darin, dass die gesamte Forschungsgruppe aus dem psychodynamischen Kontext stammt und die damit verbundenen Konzepte daher eine fachliche Nähe aufweisen.

 

6. Fazit

Die jungen Muslim:innen in unseren Gesprächen berichten von erheblichen psychischen Herausforderungen, die sich aus Integrationsaufgabe zwischen der westlich-säkularen und islamischen Kultur ergeben. Die Ambitendenz, die bereits in der heutigen Türkei besteht (z.B. zwischen Kemalismus und Islamismus, zwischen westlicher Säkularität und östlicher Religiosität, zwischen feministischer Emanzipation und traditioneller „Geschlechtergerechtigkeit“), tritt für junge türkisch-deutsche Muslim:innen in einer verschärften Weise auf und kann ebenso neugierige Kreativität wie Schuldbewusstsein, Orientierungslosigkeit und Ängste auslösen (vgl. Meurs & Cluckers 1999). Der wesentliche Unterschied zwischen jungen Musliminnen und Muslimen, so legen unsere Ergebnisse nahe, besteht darin, dass die Frauen von konfliktreichen innerfamiliären Situationen und entsprechend fragilen Anerkennungsverhältnissen berichten, im gesellschaftlichen Außen aber eher eine Anerkennung als emanzipierte Frau erleben. Ihre Aufgabe ist es, eine Antwort auf eine Identifizierung mit ihren Müttern, die im Außen, z.B. beruflich oder sprachlich weniger qualifiziert sind, zu finden, und damit eine Identität als moderne Frau zu entwickeln, die es ihr erlaubt, in ihrer (auch sexuellen) Ganzheit emanzipiert sowie eine Mutter zu sein. Die Männer hingegen erleben eher im gesellschaftlichen Außen eine eklatante Entwertung und Ent-Idealisierung. Die daraus entstehende Spannung führt – im Vergleich zu den Frauen – häufig zu Orientierungslosigkeit und einem Rückzug in narzisstisch gesicherte Strukturen. Eine Alternative ist der Weg in die Kriminalität, v.a. wenn der Rückzug in die sichere bzw. intakte familiäre Umgebung nicht möglich ist. Beide, in der vorliegenden Stichprobe heterosexuellen und binären Geschlechter stehen also, auf der Schwelle zum Erwachsenenleben, vor großen integrativen Aufgaben, um ihre Identität als deutsch-türkische Muslim:innen erfolgreich auffinden und gestalten zu können.

 

Tabelle 2 Geschlechterspezifische Unterschiede

Tabelle 2: Co-Occurrence-Analyse der Probandinnen hinsichtlich der strukturalen Codes „Kulturelle Identität“, „Ethnische Identität“, „Soziale Identität“, „Frauenbild“, „Männerbild“ sowie der drei am häufigsten auftretenden offenen Codes und zentralen Kategorien

 

Tabelle 3 Geschlechterspezifische Unterschiede

Tabelle 3: Co-Occurrence-Analyse der Probanden von den strukturalen Codes „Kulturelle Identität“, „Ethnische Identität“, „Soziale Identität“, „Frauenbild“, „Männerbild“ sowie der drei am häufigsten auftretenden offenen Codes und zentralen Kategorien.

 


1 Befragungen zur Religiosität junger türkischer Frauen in Deutschland, die meist gut ausgebildet waren, zeigen, dass jugendliche Musliminnen (und auch Muslime) auf der Suche nach einer authentischen Lebensführung bewusst auf den Islam zurückgreifen (Nökel 2002). Die Zugehörigkeit zum Islam ermöglicht es ihnen, „in einem gemeinsamen Erlebnisbereich mit den Eltern zu verbleiben“. Kennzeichnend aber ist die persönliche Abgrenzung eines „wahren Islam“, dessen Inhalte man sich nahezu wissenschaftlich aneignen könne, von dem „traditionalistischen Islam“, der eine unhinterfragte Übernahme eines rigiden Wertekanons fordere (Boos-Nünning & Karakasoglu 2004, S. 25).

 2 Auch wenn die Stichprobe unserer Studie binär ist, d.h. ausschließlich aus heterosexuell orientierte Probanden besteht, sei hier auf die Situation der LGBTIQ:-Gemeinschaft in der Türkei verwiesen (LGBTIQ: = Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans-, intergeschlechtliche und queere Menschen). Die Geschichte der türkischen LGBTIQ: - Gemeinschaft ist überaus dynamisch: Einerseits wurden in der Türkei Partnerschaften außerhalb heteronormativer Vorstellungen bereits seit 1852 als legal anerkannt. Andererseits besteht heute ein radikaler Wandel der Regierungspolitik gegenüber Vertreter:innen der LGBTIQ: - Gemeinschaft. Die AKP-Repräsentanten verwehren sich gegen Antidiskriminierungsgesetze. Öffentliche Veranstaltungen (z. B. die sogenannte Gay Pride) werden verboten bzw. mit Polizeigewalt aufgelöst. Verschiedene Vereine berichten über Razzien, Festnahmen und Inhaftierungen. Trotz dieser diskriminierenden Haltung der Regierung besteht in den letzten Jahren eine erhöhte Sichtbarkeit der LGBTIQ:-Gemeinschaft (dabei z. B. in Form von Studentenprotesten an der Bogazici-Universität 2021). Vertreter:innen der Queer-Bewegung treten nicht nur gegen Homophobie, sondern auch gegen Sexismus, Rassismus, Behindertenfeindlichkeit und schicht- und milieuspezifische Diskriminierungen gemeinsam an (Cetin 2015; Celik 2021; Sprothen 2021).

3 Wir könnten uns vorstellen, dass in diesem Fall der Hass auf den Vater zunächst in der Familie, nämlich zwischen den Brüdern gehalten, und erst dann, auf Grund der kollektiven Struktur der Familie nach außen abgeleitet wird. Gérard Haddad (2021) erklärt damit, weshalb auffällig oft Brüderpaare an Attentaten beteiligt sind. Möglicherweise trägt dieser Brüder-Konflikt, der seinen Ursprung im Ödipus-Komplex haben könnte, grundsätzlich zur Gewalt in Gesellschaften bzw. Kriegen (auch in der abendländischen Kultur) bei.

 

Literaturverzeichnis

Abdel Kader, Soha (1987): Egyptian women in a changing society, 1899–1987. Boulder: Lynne-Rienner.

Aksoy, Hürcan A. (2014): „Die türkische Frauenrechtsbewegung“. In: Dossier Türkei, online Ausgabe Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/184972.

Aksoy, Hürcan A. (2017): Im Schatten des Autoritarismus: Geschlechterverhältnisse und Geschlechterpolitik in der Türkei. Feminapolitica 2 (2017). DOI: https://doi.org/10.3224/feminapolitica.26i2.12.

Amīn, Qasim (2000): „The Liberation of the Woman“ and „The New Woman“: Two documents in the history of Egyptionan Feminism. Kairo: The American University in Cairo Press.

Ardjomandi, Mohammad E. (2000): „Der Ausgang des ödipalen Konflikts im iranischen Kulturraum und seine Auswirkungen auf die analytische Psychotherapie iranischer Patienten“. In: K. Rodewig (Hg.), Identität, Integration und psychosoziale Gesundheit. Aspekte transkultureller Psychosomatik und Psychotherapie. Gießen: Psychosozial, S. 107-148.

Ardjomandi, Mohammad E. (2013): „Zur Spezifität des ödipalen Konflikts der Muslime im Vorderen Orient am Beispiel Irans“. In: Psychosozial 93, S. 57-66.

Ateş, Seyran (2009): Der Islam braucht eine sexuelle Revolution. Eine Streitschrift. Berlin: Ullstein.

Awisati, Francesco. u. González-Sancho, Carlos (2016): PISA 2015 Ergebnisse: Exzellenz und Chancengerechtigkeit in der Bildung. Gütersloh: Bertelsmann.

Benjamin, Jessica (1990): Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht. Frankfurt/M.: Stroemfeld.

Bernard, Cheryl, Schlaffer, Edit (1980): „Der Islammacho“. In: Psychologie heute 12, S. 40-50.

Boos-Nünning, Ursula u. Karakasoglu, Yasemin (2004): „Viele Welten leben“. In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Münster: Waxmann.

Boos-Nünning, Ursula u. Karaksoglu, Yasemin (2005): „Familialismus und Individualismus. Zur Bedeutung der Familie in der Erziehung von Mädchen mit Migrationshintergrund“. In: Familie, Akkulturation und Erziehung. Stuttgart: Kohlhammer, S. 126–150.

Brockhaus, Friedrich A. (1894-1895): Konversationslexikon. Bd. 9. Leipzig/Berlin/Wien: F. A. Brockhaus.

Butler, Judith (1990): Gender trouble: Feminism and the subversion of identity. Thinking gender. London: Routledge.

Celik, Fatima (2021): „Zunehmende Attacken auf LGBT und in der Türkei“. www.dw.com.

Cetin, Zülfukar (2015): „Die Dynamik der Queer-Bewegung in der Türkei vor und während der konservativen AKP-Regierung“. Internet: www.boell.de.

Edthofer, Julia, Obermann, Judith (2007): „Familienstrukturen und Geschlechterrollen in der Migration: eine qualitative Analyse von Müttern und Töchtern türkischer Herkunft“. In: SWS-Rundschau 47 (4), S. 453-476.

Evans, Dylan (1996): Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse. Wien: Turia + Kant.

Freud, Sigmund (1905): Three essays on the theory of sexuality. In: SE VII, S. 123-246. London: Hogarth Press.

Freud, Sigmund (1921): Group psychology and the analysis of the ego. In: SE 18, S. 65-143. London: Hogarth Press.

Freud, Sigmund (1924): The dissolution of the Oedipus complex. In: SE XIX, S. 171-180. London: Hogarth Press.

Frindte, Wolfgang, Boehnke, Klaus, Kreikenbom u. Henry, Wagner, Wolfgang (2011): Lebenswelten junger Muslime in Deutschland. Ein sozial- und medienwissenschaftliches System zur Analyse, Bewertung und Prävention islamistischer Radikalisierungsprozesse junger Menschen in Deutschland: Universität Tübingen im Auftrag des Bundesministeriums des Innern.

Glaser, Barney G. u. Holton, Judith (2004): Remodeling grounded theory (Vol. 5). Qualitative Market, Media and Opinion Research 2. https://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/issue/view/15.

„Global Gender Gap Report 2020“. www.weforum.org/reports/gender-gap-2020-report-100-years-pay-equality.

Goetzmann, Lutz, Jecker-Lambreva, Evelina u. Ruettner, Barbara (2014): „Zur Tragik forcierter Vater-Identifizierungen und deren Auswirkungen auf das weibliche Selbstgefühl.“ In: Zeitschrift für Psychoanalytische Theorie und Praxis 29, S. 336-346.

Haddad, Gérard (2021): À l´origine de la violence. D'Oedipe à Caïn, une erreur de Freud?. Paris: Salvator.

Kakar, Sudhir (1998): „Kindheit und Gesellschaft in Indien. Eine ethnopsychoanalytische Studie“. In: Kaufmann, J. C. (2005): Die Erfindung des Ich. Eine Theorie der Identität. Nexus.

Kelek, Necla (2008): Bittersüße Heimat. Bericht aus dem Inneren der Türkei. Köln: Kiepenheuer & Witsch.

Kroth, Isabella (2010): Halbmondwahrheiten. Türkische Männer in Deutschland. München: Diederichs.

Lacan, Jacques (2002 [1958]): The direction of the Treatment and the principles of its power: New York: W. W. Norton. https://nosubject.com/Power.

Laplanche, Jean (2011): Freud and the Sexual. London: Karnac.

Morel, Geneviéve(2018): Terroristes  les raisons intimes d'un fléau global. Paris: Fayard.

Morel, Geneviéve (2019): The Law of the Mother. An Essay on the Sexual Sinthome. London: Routledge.

Meurs, Patrick u. Cluckers, Gaston (1999): „Das Verlangen nach Verflochtenheit mit der Herkunftskultur – Migrantenfamilien in psychodynamischer Therapie“. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 48, S. 27-36.

Nicke, Sascha (2018): „Der Begriff Identität“. In: Bundeszentrale für Politische Bildung. www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/241035/der-begriff-der-identitaet?rl=0.4253039605620146.

Nökel, Sigrid (2002): Die Töchter der Gastarbeiter und der Islam: Zur Soziologie alltagsweltlicher Anerkennungspolitiken: Eine Fallstudie. Bielefeld: Transcript.

Parin, Paul, Morgenthaler, Fritz u. Parin-Matthèy, Goldy (1963): Die Weißen denken zu viel. Psychoanalytische Untersuchungen bei den Dogon in Westafrika. Zürich: Atlantis.

Parin, Paul, Morgenthaler, Fritz u. Parin-Matthèy, Goldy (1971): Fürchte deinen Nächsten wie dich selbst. Psychoanalyse und Gesellschaft am Modell der Agni in Westafrika. Frankfurt: Suhrkamp.

Parin, Paul (1972): „Der Ausgang des ödipalen Konflikts in drei verschiedenen Kulturen. Eine Anwendung der Psychoanalyse als Sozialwissenschaft“. In: Kursbuch 29, S. 179-201.

Pinn, Irmgard u. Wehner, M. (1995): EuroPhantasien. Die islamische Frau aus westlicher Sicht. Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung.

Ramanujan, Attipat K. (1991): „Der indische Ödipus. Inzestfantasien ohne Vatermord? Tiefenpsychologische Betrachtungen zum Generationskonflikt.“. In: Lettre 13, S. 82-88.

Rau, Thea, Heimgartner, Anna, Fegert, Jörg M. u. Allroggen, Marc (2020): „Do radicalized persons have access to psychotherapeutic support? Selected results of guided interviews”. In: Psychotherapeut 65.

Selek, Pinnar (2010): Zum Mann gehätschelt. Zum Mann gedrillt. Männliche Identitäten. Berlin: Orlanda.

Spohn, Margret(2015): Türkische Männer in Deutschland. Bielefeld: Transcript.

Sprothen, Vera (2021): „Istanbul: Türkische Polizei setzt Tränengas gegen Pride-Parade ein“: In: Zeit Online. www.zeit.de.

Toprak, Ahmet (2019): Muslimisch, männlich, desintegriert: Was bei der Erziehung muslimischer Jungen schiefläuft: Berlin: Ullstein.

Tripet, Lise (1990): Wo steht das verlorene Haus meines Vaters? Afrikanische Analysen. Freiburg: Kore.

Yumul, Arus (1999): „Scenes of Masculinity from Turkey“. In: Zeitschrift für Türkeistudien 1.

Wöhr, Maria (2019): Sozialpsychologie des islamischen Geschlechterverhältnisses. www. refubium.fu-berlin.de.

 

Autor:innen:

Lena Barth, Dr., erhielt ihren Bachelor der Psychologie an der Metropolitan Universität in London. Es folgte ein Master in Klinischer Psychologie an der Otto von Guericke Universität in Magdeburg. 2015 schloss sie ihre Aus- und Weiterbildung als tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeutin ab und begann ihre Tätigkeit als Psychotherapeutin und Dozentin an der MSH Medical School Hamburg. Seit 2018 leitet sie den Ausbildungsbereich der Tiefenpsychologie am HIP Hafencity Institut für Psychotherapie. Ihre Doktorarbeit wurde 2022 an der Universität zu Lübeck angeschlossen. Sie ist Fellow am „Institut für Philosophie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaften IPPK“, Berlin. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen an der Schnittstelle von Migration, Gendertheorien und Psychoanalyse. Korrespondenzadresse: Lena Barth, MSH Medical School Hamburg, Am Kaiserkai 1, 20457 Hamburg; E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Paul Maximilian Kaiser, Dr., erhielt seinen Bachelor der Psychologie sowie Master in Klinischer Psychologie an der MSH Medical School in Hamburg. 2018 begann er seine Aus- und Weiterbildung zum Tiefenpsychologisch fundierten Psychologischen Psychotherapeuten mit Fachkunde Analytische Psychotherapie am HIP Hafencity Institut für Psychotherapie, Im gleichen Jahr begann er seine Doktorarbeit an der Universität zu Lübeck und erhielt dafür ein Stipendium der MSH Medical School Hamburg. 2021 schloss er seine Promotion ab. Er ist Fellow am Institut für Philosophie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaften IPPK. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen an der Schnittstelle von Migration, Kultur und Psychoanalyse.

Gonca Tuncel-Langbehn studierte Psychologie an der Universität Hamburg, welches durch ihre Weiterbildung zur Tiefenpsychologisch fundierten Psychologischen Psychotherapeutin erweitert wurde. Sie arbeitete u.a. als interkulturelle Psychotherapeutin an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Bad Segeberg.

Barbara Ruettner, Prof. Dr. med., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Psychoanalytikerin SGPsa/IPA. Sie doziert und forscht als Professorin im Bereich der Analytischen Psychotherapie an der MSH Medical School Hamburg und leitet den Ausbildungsbereich der Analytischen Psychotherapie am HIP Hafencity Institut für Psychotherapie in Hamburg. Sie publizierte in den Bereichen der Immunologie, Neurologie und Psychosomatik.

Lutz Goetzmann, Prof. Dr., habilitierte an der Universität Zürich im Bereich der Psychosomatik von Organtransplantierten. Er ist APL-Professor an der Universität zu Lübeck. Von 2011 bis 2020 war er Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin in Bad Segeberg. Seit 2020 arbeitet er in seiner eigenen psychoanalytischen Praxis in Berlin. Er ist Mitglied der Schweizer Gesellschaft für Psychoanalyse und publizierte vor allem zu Themen der psychoanalytischen Psychosomatik. Er ist Mitbegründer des „Instituts für Philosophie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaften IPPK“ in Berlin sowie Mitherausgeber von Y - Zeitschrift für atopisches Denken.