Hryhorij Skovoroda

Y – Z Atop Denk 2022, 2(3), 1.

Abstract: Das höchste Glück erreiche der Mensch nach Skovoroda, wenn er in seinem Leben jener Berufung nachgehe, die ihm von Gott zuteilgeworden sei. Um diese zu erkennen, müsse mensch nicht äußerlichen Werten, sondern seinen inneren Eigenschaften folgen. Die Möglichkeit zur freien ethischen Entscheidung, die Freiheit zur ethischen Wahl, bildet ein konstitutives Moment der skovorodianischen Anthropologie. Dabei sei die Berufsaufgabe dem eigenartigen Menschen, der Natur seines Herzens, eigentümliches Tun – seine Wahlverwandtschaft. Diesen Grundgedanken seiner philosophischen Lehre veranschaulicht Skovoroda in der Fabel über Kater aus dem 1775 entstandenem Werk Das Alphabet der Welt (Gespräch, genannt Alphabet, oder die Fibel der Welt).

Übersetzung und Kommentar: Olga Grytska, besonderer Dank gilt Jesko Vorbeck und Dmytro Grytskyy

Keywords: Skovoroda, Fabel, Präpersonalismus, Lebensphilosophie, Glück

Veröffentlicht: 31.03.2022

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Ein Kater aus dem Walde kam einst alter Bekanntschaft wegen ins Dorf zu seinem Kameraden und wurde wunderbar empfangen. Während des Abendessens bewunderte er den Wohlstand.

– „Gott hat mir eine Aufgabe gegeben“, sagte der Hausherr, „sie bringt meinem Haus am Tag je zwanzig Stück der vorzüglichsten Mäuse ein. Ich wage zu behaupten, dass ich im Dorf als der große Cato1 gelte.“

– „Deshalb bin ich ja gekommen, Euch zu sehen“, sagte der Gast, „und mich von Eurem Glück zu vergewissern, und mich zudem beim Jagen zu vergnügen. Man hört, bei Euch seien prächtige Ratten aufgetaucht.“

Nach dem Abendessen legten sie sich schlafen. Der Hausherr begann im Schlaf zu schreien und weckte damit den Gast.

– „Euch muss bestimmt etwas Furchtbares im Schlaf erschienen sein?“

– „Ach Bruder! Es schien mir, als sei ich im tiefsten Abgrund versunken.“

– „Ich dagegen habe mich beim Jagen vergnügt. Es schien mir, als hätte ich die aller feinste sibirische Ratte gefangen.“ 

Der Gast schlief wieder ein und wachte ausgeschlafen wieder auf. Da hörte er den seufzenden Hausherren.

– „Herr Cato! Seid Ihr schon ausgeschlafen?“

– „Nein! Ich habe nach dem Albtraum nicht mehr geschlafen.“

– „Oh! Aber weshalb?“

– „So ist meine Natur, dass ich, einmal aufgewacht, nicht mehr einschlafen kann.“

– „Was hat das für einen Grund?“

– „Hierin liegt mein Geheimnis… Ach, mein Freund! Dir ist nämlich nicht bekannt, dass ich mich verpflichtet habe, der Fischfänger für alle Kater in diesem Ort zu sein. Es beunruhigt mich schrecklich, wenn ich nur an das Boot, das Fischernetz, das Wasser denken muss…“

– „Wozu hast du dich denn des Fischfangs angenommen?“

– „Wie könnte ich denn anders, Bruder? Ohne Unterhalt kannst Du in der Welt nicht leben. Überdies bin ich selbst ein großer Liebhaber des Fisches.“

Der Gast schüttelte den Kopf und sagte schließlich:

– „Oh, mein Herr! Ich weiß nicht, wie sehr du diesen Namen zu durchdringen vermagst: Gott. Aber wenn du dich an deine Natur gehalten hättest, welcher du zu Unrecht die Schuld gibst, dann wärst du mit einem Stück Maus am Tag weitaus zufriedener. Lebe wohl mit Deinem Glück! Meine Armut ist besser.“

Und er kehrte zurück in sein Wäldchen.

 

Daraus ist dies Gleichnis hervorgegangen: Catus amat pisces, simul odit flumen aquarum2 – „Der Kater liebt3 den Fisch, gleichzeitig hasst4 er das Wasser“. Dieses Unglück ereilt all diejenigen Jäger, die es nicht ihrer Berufung, sondern des Profits wegen sind. Ist es nicht eine unglückliche Überlegung – die Bezahlung vom Gutsherrn lieben, aber kein Liebhaber sein, Rebstöcke umzugraben?5 Es versteht sich, dass derjenige kein Jäger ist, der von Natur aus keiner ist. Einem natürlichen Jäger bereiten die Jagd und die Arbeit mehr Freude als einen gebratenen Hasen vor sich auf den Tisch gestellt zu bekommen. Bei einem meisterhaften Bild mag jeder das Gemälde anschauen, hinsichtlich des Bildes aber ist allein derjenige ein Liebhaber, der es liebt, Tag und Nacht seine Gedanken in dessen Gedanken zu vertiefen, die Proportionen abschätzend, malend und die Natur nachahmend.

Niemand wird den großen Ruhm für sein künstlerisches Wirken jeglicher Art ablehnen, selbst wenn einer nicht die Arbeit an dem Werk selbst für das süßeste Vergnügen halten mag, dann wohl den darauffolgenden Ruhm. Schließlich ist aber derjenige seiner Berufung der treuste Freund, dessen Liebe nicht einmal der größte Profitverlust, Armut, Schmäh, Verfolgung löschen können.

Ihre Natur missachtend, wählen viele für sich den beliebtesten und profitabelsten Beruf, womit sie sich selbst gänzlich belügen. Profit dient nicht dem Vergnügen, sondern der Erfüllung der körperlichen Bedürfnisse, und falls es doch ein Vergnügen ist, dann keine inneres; sein ihm verwandtes Vergnügen findet das Herz in einer ihm verwandten Wahl. Je verwandter es ist, umso süßer ist es. Wenn die Wonne in der Fülle läge, gäbe es Erfüllte nicht zu genüge? Aber nur wenige mit Gleichmut und Leidenschaft.

Am Wohlstand nährt sich nur der Körper, die Seele jedoch erfreut sich an ihrer Wahlverwandtschaft6. Diese aber ist der Saal ihres süßesten Festes. Hier nämlich, als sei sie [die Seele] eine geschickt gebaute Maschine, sich im vollen Gange drehend, freut sie sich und, wenngleich sie auch nur Roggenbrot und Wasser hat, beneidet sie die königlichen Hallen nicht.

 

 


1 Es kann angenommen werden, dass Skovoroda sich hier auf den römischen Staatsmann Marcus Porcius Cato Censorius bezieht.

2 Alle im Text vorzufindenden Hervorhebungen durch Kursivierung sind durch die Übersetzerin vorgenommen worden.

3 An dieser Stelle ist eine Scharfsinnigkeit der Wortwahl Skovorodas hervorzuheben, welcher die vorliegende Übersetzung in die deutsche Sprache nicht gerecht werden kann. Im Original verwendet der Autor hier nämlich ein Wort, dessen Wortfamilie die folgende Doppeldeutigkeit eigen ist: охота = Jagd; Gelüst/Verlangen, demnach oхотник = Jäger; Liebhaber.

4 Die hier vorgeschlagene Übersetzung bezieht sich direkt auf den lateinischen Text. Skovoroda übersetzt aus dem Lateinischen allerdings sinngemäß: „Der Kater ist ein Liebhaber des Fisches, gleichwohl fürchtet er das Wasser.“ Es liegt nahe, dass Skovoroda diese Version anstelle einer wörtlichen Übersetzung wählte, um das oben dargelegte Wortspiel beibehalten und eine dem Duktus seiner Zeit eigene Redewendung bilden zu können.

5 Sinngemäß ist hierunter die Haltung zu verstehen, etwas Begehrenswertes erhalten, ohne die notwendige Arbeit dafür leisten zu wollen.

6 Vgl. Alexander von Kultschytzkyj (1975): „Die Problematik der psychischen Wahlverwandtschaften (Srodstwa) zu Gegenständen der Wünschbarkeit als Ausgangsbasis des skoworodianischen „Präpersonalismus“. In: Hryhorij Savyč Skovoroda (1722-1794), Ukrainische Freie Universität: München, S. 30-40.

 

Literaturverzeichnis

Primärliteratur:

Skovoroda, Hryhorij Savyč (1973): Povne zibrannja tvoriv: u dvoch tomach (Повне зібрання творів у двох томах), Bd. 2, Kyjiv: Naukova dumka, S. 429-430.

Forschungsliteratur:

Kultschytzkyj, Alexander von (1975): „Die Problematik der psychischen Wahlverwandtschaften (Srodstwa) zu Gegenständen der Wünschbarkeit als Ausgangsbasis des skoworodianischen „Präpersonalismus“. In: Hryhorij Savyč Skovoroda (1722-1794)Reihe Monographien, Bd. 22, Ukrainische Freie Universität: München, S. 30-40.

 

Autor:in: Hryhorij Savytsch Skovoroda (1722-1794), Philosoph, Dichter und Musiker, gilt bis heute als einer der bedeutendsten ukrainischen Intellektuellen. Er studierte an der Mohyla-Akademie, einer 1632 in Kyiv gegründeten und hoch angesehenen (orthodoxen) Universität, war im Kirchenchor am Zarenhof angestellt, auf diplomatischen und Studienreisen u.a. in Deutschland unterwegs sowie als Lehrer tätig. Nachdem seine progressiven Lehrmethoden am Charkiwer Kolleg missbilligt wurden, verbrachte Skovoroda die letzten zwei Jahrzehnte seines Lebens als Wanderphilosoph. Für viele seiner philosophisch-künstlerischen und lebensphilosophischen Werke wählte der Denker, seinem antiken Vorbild folgend, die Dialogform, welche ihm den Ruf als „ukrainischer Sokrates“ einbrachten.

Übersetzer:in: Olga Grytska, M.A., absolvierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel das Studium der Philosophie, Medien- und Musikwissenschaften. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Musikphilosophie, philosophische Ästhetik und Medienästhetik. Sie ist als Redaktionsmitarbeiterin und freie Journalistin (Olga Kirschenbaum) in Berlin tätig.